Die Steuerschätzung bleibt folgenlos für die Finanzpolitik.

Schätzungen sind keine exakten Zahlen. Und Steuerschätzungen sind noch keine konkreten Einnahmen. Vor allen Dingen aber liegen sie meist daneben. Die Mehreinnahmen, die jetzt für die kommenden Jahre vorhergesagt werden, beziehen sich also nur auf die vorhergehende Schätzung - und müssen auch gar nicht eintreffen. Denn sowenig, wie die Schätzer die Krise vorhersehen konnten, haben sie den Aufschwung geahnt, noch wissen sie, wie lange er währt.

Also erscheint es völlig logisch, bei einem gesamtstaatlichen Schuldenberg von beinahe zwei Billionen Euro, einer noch immer gigantisch wachsenden Neuverschuldung und der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse allen Steuerreformplänen eine Absage zu erteilen. Wann aber wäre dann der geeignete Zeitpunkt, den undurchsichtigen deutschen Steuerdschungel zu lichten? Denn eines steht auch fest: Trotz Krise, ungenauer Schätzungen und beständig steigender Schulden - die Einnahmen des Staates sind in den vergangenen Jahren stets gewachsen.

Der Fehler liegt also weniger bei aktuellen Einnahmen, und er wird mit ein paar Detailänderungen bei Pauschalbeträgen für Pendler oder dadurch, dass Steuererklärungen vielleicht nur noch alle zwei Jahre fällig werden, nicht zu beheben sein. Er liegt vielmehr in den Aufgaben, die sich der Staat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgebürdet hat. Er muss nun den Großteil seiner Einnahmen für Sozialausgaben, Subventionen und Schuldentilgung aufwenden. Das dabei entstandene Dickicht hat dazu geführt, dass so ziemlich jeder jeden an irgendeiner Stelle alimentiert. Dafür betreibt der Staat eine aufwendige und teure Umverteilungsmaschinerie, die zudem Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst sichert.

Daran haben sich Bürger und Wirtschaft gewöhnt, und natürlich will niemand freiwillig auf seinen kleinen oder auch größeren Vorteil verzichten - auch wenn er ihn an anderer Stelle teuer wieder bezahlt. Wer daran etwa ändern will, dem droht das Schicksal eines Friedrich Merz oder eines Professor Kirchhof - der verschwindet im politischen Abseits. Die gesellschaftlichen Widerstände gegen grundlegende Reformen sind gewichtiger als die jeweils aktuelle Einnahmesituation. Sie lassen sich auch nicht mit den flotten FDP-Sprüchen vom "einfacher, niedriger und gerechter" überwinden, wenn sich dieses große Versprechen in kleinliche Klientelpolitik auflöst. Ein moderneres und effizienteres Steuersystem in Deutschland dürfte schätzungsweise auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben sein. Jedes Volk hat nicht nur die Regierung, auch den Fiskus, den es verdient.