Michael Schumacher und Sebastian Vettel starten am Sonntag in Australien in die Formel-1-Saison. Sie träumen vom Duell auf der Piste

Als der kleine Steppke Sebastian Vettel in den 90er-Jahren seinen Vater anbettelte, er wolle unbedingt auf die Kartbahn, klebte ein Poster des damaligen Formel-1-Champions Michael Schumacher an der Wand seines Kinderzimmers. Das Bild ist längst im Altpapier. Dafür starten die beiden Fixsterne des deutschen Rennfahrerhimmels an diesem Wochenende gemeinsam zum Auftakt der Grand-Prix-Saison 2012 in Australien.

Ihr Arbeitsplatz hat mit einem Auto nur noch die vier Räder gemeinsam. Ansonsten rasen sie, wenige Millimeter über dem Asphalt in einer engen Röhre aus Kohlefaserverbundstoff liegend, umgeben von 220 Liter Benzin mit 300 km/h über die Pisten und verändern die Eigenschaften des Geschosses mit 20 Knöpfen am Lenkrad - mehr Kampfjetpilot als Autofahrer. Das aber ist es, was Schumacher, 43, und Vettel, 24, mit Disziplin und Leidenschaft zur Meisterschaft gebracht haben.

Der eine schenkte dem Land der Autofahrer endlich den ersten Weltmeistertitel und katapultierte mit elf Millionen Zuschauern die Fernsehquoten der Formel 1 auf Klitschko-Niveau. Der andere, ein Kind des Schumacher-Booms, erschloss dem anachronistischen Sport der Gladiatoren auf vier Rädern das junge Publikum des neuen Jahrtausends. "Ich bin heiß auf das Rennen", sagt Schumacher, als dürfte er zum ersten Mal mit einem der sündhaft teuren Boliden im Kreis fahren und nicht zum 289. Mal. Als Schumacher 1991 im belgischen Spa-Francorchamps sein Premierenrennen bestritt, war Sebastian Vettel gerade vier Jahre alt.

Beide sind auf der gleichen Kartpiste im rheinischen Kerpen groß geworden, beide hatten von Haus aus nicht die Mittel für eine große Karriere. Der Ältere fand einen Mäzen und einen listigen Manager, der andere wurde für das Förderprogramm des österreichischen Brauseherstellers Red Bull entdeckt. Den Rest erledigten ihr Talent und das mindestens ebenso große und manchmal brutale Ego.

Schumacher hat mit seinen Steuerkünsten mehr als 600 Millionen Euro verdient, müsste schon längst nicht mehr arbeiten und könnte sich in seinem Schweizer Anwesen der Familie und seinen Hobbys widmen. Nur leider hat er außer Autorennen keine. Deswegen bekennt er: "Ich bin in der glücklichen Lage, meine Träume leben zu können." Wem baut Mercedes schon ein eigenes Auto, damit er vom Rentner wieder zum Rennfahrer werden kann? Bei Vettel hört sich das unwesentlich anders an: "Ich liebe, was ich mache."

Zwischen den beiden Männern, die sich Freunde nennen und gelegentlich nach der Arbeit mal mit einem Bier anstoßen, liegen zwei Jahrzehnte Fortschritt - und Welten. Vettel wird von Red Bull zur Werbe-Ikone der Generation iPad aufgebaut. Er war immer der Jüngste, in allem was er mit Gaspedal und Lenkrad bewegte. Anders als Schumacher ist er eher extrovertiert und verpasste dem englisch-kühlen Milliardengeschäft Formel 1 eine neue Frische. Der Abiturient (Schnitt 2,8) kommt in der globalen Medienwelt besser klar als Mittlere-Reife-Absolvent Schumacher, dem Glanz und Glamour eines Popstars immer fremd geblieben sind. Vettel hat sich längst emanzipiert. Die britischen Medien, die mit Schumacher eine Hassliebe verbindet, sind bei Vettel von "Baby Schumi" auf das respektvolle "Super Seb" umgeschwenkt.

Nur in ihrer Arbeit unterscheiden sie sich nicht. Schumacher hat den Beruf des Rennfahrers revolutioniert, weil er nicht mehr nur Gas gab, sondern als Ingenieur im Cockpit die technischen Daten analysierte. Vettel hat das System Schumacher perfektioniert.

Glaubt man den Ergebnissen der Testfahrten, könnte es in diesem Jahr zum ersten Mal zu einem direkten Zweikampf der schnellsten deutschen Autofahrer kommen. In Schumachers erster Karriere war Vettel noch zu jung. Und nach seinem Comeback 2010 begegneten sich die beiden höchstens dann, wenn der Jüngere den Älteren überrundete. Einmal noch ganz oben auf dem Podium stehen, das ist Schumachers Traum. Geschenke macht Vettel, bei aller Freundschaft, nicht: "Wenn mich einer schlägt, bin ich enttäuscht." Egal, wer.