In Hamburg sind immer mehr Menschen auf eine Therapie angewiesen. Doch es gibt eine Unterversorgung, weil die nötigen Mittel fehlen

Es ist nicht leicht, in Hamburg eine psychotherapeutische Behandlung zu bekommen. Patienten müssen bis zu drei Monate auf ein Erstgespräch warten. Das fällt besonders auf, wenn die Erkrankung akut und die persönliche Not groß ist.

Woran das liegen soll, beschrieb die Leiterin des Landesverbandes der Ersatzkassen in Hamburg (vdek), Kathrin Herbst, kürzlich an dieser Stelle. Für sie ist klar: Schuld daran sind die Psychotherapeuten, die die "falschen" Patienten behandeln. Sie machten es sich in ihren Behandlungszimmern gemütlich und kümmerten sich nur um die gesunden Patienten. Die Patienten, die es wirklich nötig hätten, werden absichtlich außen vor gelassen. Diese einfältige Position entspricht nicht der psychotherapeutischen Realität. Patienten in Not aufgrund fehlender Behandlungskapazitäten weiterschicken zu müssen fällt schließlich keinem Psychotherapeuten leicht.

Es besteht auch aus Sicht der Psychotherapeuten kein Zweifel, dass es dringend einer Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung in Hamburg bedarf.

Psychotherapeuten behandeln Menschen mit psychischen Erkrankungen und müssen jede Behandlung bei der zuständigen Krankenkasse beantragen, begutachten und bewilligen lassen. Im Rahmen dieses aufwendigen Genehmigungsverfahrens wird ein hoher Prozentsatz bewilligt. Das ist ein Beleg, dass Psychotherapeuten Behandlungen gewissenhaft beantragen - eben nur dann, wenn sie wirklich notwendig sind.

Die Techniker Krankenkasse, eine der größten Ersatzkassen, belegt in einer umfassenden Studie zum "Qualitätsmonitoring in der Psychotherapie 2011", dass Psychotherapeuten in ihren Praxen Patienten mit psychischen Störungen, wie Depressionen und Angstzuständen, behandeln. Diese sind laut dieser Studie genauso schwer erkrankt wie Patienten, die in psychosomatischen Kliniken behandelt werden. Und von den untersuchten Patienten profitierten über 70 Prozent von der Psychotherapie!

Aufgrund wachsender psychischer Belastungen, sei es am Arbeitsplatz, in der Schule oder in Familien, werden immer mehr Menschen seelisch krank und müssen wochen- bis monatelang krankgeschrieben oder sogar frühzeitig berentet werden. Auch das kann den Gesundheitsreports der Krankenkassen entnommen werden.

Auf diesen steigenden Behandlungsbedarf müssen die Krankenkassen endlich reagieren und die dafür nötigen Mittel zur Verfügung stellen. Die derzeitige Situation stellt eine unzumutbare Unterversorgung dar, die bei vielen Patienten zur Verschlimmerung bis hin zu einem dauerhaften Leiden (Chronifizierung) führt.

Die Psychotherapeutenkammern haben hierzu wiederholt konkrete Vorschläge gemacht, die aber bisher von den Krankenkassen nicht aufgenommen worden sind. Dazu zählen unter anderem mehr Behandlungsplätze, flexiblere Behandlungsmöglichkeiten und der Abbau bürokratischer Hürden. Dafür muss Geld in die Hand genommen werden, Geld, das gut investiert wäre. Wem nützt also die Polemik von Frau Herbst? Den betroffenen Patienten mit Sicherheit nicht. So liegt der Verdacht nahe, dass sie von den eigentlichen Ursachen ablenken soll.

Dabei - und auch das ist Frau Herbst bekannt - zeichnet Psychotherapie aus, dass sie zwar zeit- und personalintensiv, aber als Behandlungsmethode besonders effektiv, anhaltend und für die Kassen kostensparend ist. Auch das zeigt nämlich die Studie der Techniker Krankenkasse: Mit jedem Euro, der in ambulante Psychotherapie investiert wird, werden zwischen zwei und vier Euro an direkten und indirekten Krankheitskosten eingespart. Ambulante Psychotherapie ist also keine Kostenverschwendung, ambulante Psychotherapie ist wirksame Krankenbehandlung und rechnet sich!

Den Krankenkassen steht 2012 ein Überschuss in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese wurden von den Beitragszahlern, nicht von den Kassen erwirtschaftet. Wäre es nicht verantwortlicher, angemessener und im Sinne der Patienten, wenn die Krankenkassen diesen Überschuss dazu verwenden würden, eklatante Mängel in der Krankenversorgung zu verringern?