In den Umfragen schneidet Hamburgs SPD so gut ab wie lange nicht mehr - das liegt vor allem an der Omnipräsenz von Olaf Scholz

Olaf Scholz steuert die Sozialdemokratie zurück in die Vergangenheit: Mit der jüngsten Infratest-Umfrage im Auftrag des NDR darf sich die SPD wieder in den seligen Zeiten der Hamburg-Partei wähnen. Derzeit würden 51 Prozent der Hamburger die SPD wählen, exakt 0,3 Prozentpunkte mehr hatte Klaus von Dohnanyi bei der Bürgerschaftswahl 1982 gewonnen.

Der Opposition bleiben derzeit nur die Krümel im Tortendiagramm der Demoskopen. Die CDU liegt mit 20 Prozent noch unterhalb ihres Wahlergebnisses von 2011, die GAL kommt auf 14 Prozent - und schon vor der Linken (vier) und der FDP (drei Prozent) segeln die unvermeidlichen Piraten auf der Modewelle des Erfolges (fünf Prozent).

Da stellt sich die Frage: Ist die SPD wirklich so gut? Und ist die vielstimmige Opposition gar so schlecht? Die Antwort ist eine entschiedenes Weder-noch! So spektakulär die Zahlen auch scheinen, sie spiegeln eine Sondersituation, die noch immer andauert. Zwar mögen die Bilder des schwarz-grünen Chaos verblassen, sie bilden aber in den Köpfen vieler Hamburger noch immer den Hintergrund, vor dem sich der rote Bürgermeister besonders abheben kann. Scholz macht nicht nur, was er versprochen hat, er macht es auch, wie er es versprochen hat. Verlässlich, seriös, geradezu aufreizend solide. Nach dem schrillen Schill, dem kapriziösen Kusch und dem frustrierten Frigge, die das Senatsgehege manchmal fast in einen Politzoo verwandelt hatten, ist das Rathaus wieder ein hanseatischer Mittelpunkt der Stadt. Anfang 2011, kurz vor der Wahl, waren 70 Prozent der Hamburger mit Schwarz-Grün unzufrieden; heute meckert mit dem roten Senat gerade ein Drittel.

"König Olaf" - wie Scholz ausgerechnet in der bürgerlichen Hansestadt halb bewundernd, halb spöttisch genannt wird - kommt auf sozialistische Zufriedenheitswerte von 74 Prozent. Vermutlich wären die anderen SPD-Senatoren schon froh, wenn 74 Prozent der Hamburger sie überhaupt kennen würden. Denn der Bürgermeister profitiert und profiliert sich auch auf Kosten seiner Senatoren. Wenn es wirklich wichtig wird, wachsen Themen im Handumdrehen zur Chefsache: Ob die Lösung bei Hapag-Lloyd, der Rückkauf der Netze oder die Pakte mit Uni, Eltern beziehungsweise der Wohnungswirtschaft, Scholz hält die Fäden in der Hand. Und mehr als das: Der 53-Jährige ist omnipräsent. Kaum eine hochrangige Veranstaltung, auf der der Bürgermeister nicht vertreten ist. Wenn man es nicht besser wüsste, man müsste an mehrere Scholz-Doubles glauben.

Hierin liegt auch ein Grund für die Verzweiflung der Opposition. Wie im Märchen von Hase und Igel kann sie rackern und rennen, Scholz ist schon da. Die traditionell begrenzte Aufmerksamkeit für die Opposition zerfällt noch auf vier Parteien - eine in der bundesrepublikanischen Geschichte einmaliges Konstellation. Gerade für den engagierten CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich ist die Ausgangslage extrem schwierig - die Linkspartei kann populistisch agieren, die FDP liberal dagegenhalten und die GAL modern-grün opponieren; die Volkspartei CDU droht zwischen den Rändern zerrieben zu werden. Der Platz zur Profilierung ist begrenzt, entsprechend schwer ist es, sich Gehör zu verschaffen, wenn die kleineren Oppositionsparteien stets lauter und radikaler formulieren.

Und doch gibt es einen Trost für die darbenden vier. Stets werden nicht Oppositionsparteien gewählt, sondern Regierungsparteien abgewählt. Auch wenn die Hamburger SPD davon derzeit so weit entfernt scheint wie der FC St. Pauli von der Deutschen Meisterschaft - die Politik hat sich in den vergangenen Jahren dynamisiert. Sollte eine Rezession eine verschärfte Sparpolitik erfordern, dürfte es für Scholz schnell ungemütlich werden. Risiken liegen zudem in wachsenden Begehrlichkeiten der eigenen Partei beziehungsweise einer Politik des roten Filzes - sollte die SPD wie vor 2001 die "Stadt als Beute" begreifen, wird die Zustimmung rapide sinken.

Wähler sind in Hamburg traditionell flexibel: Exakt ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl 2011, die Olaf Scholz mit 48,4 Prozent gewann, hatte Infratest die Wähler ebenfalls befragt: Damals, im Februar 2010, wollten nur 31 Prozent die Sozialdemokraten wählen. Demokratie ist Macht auf Zeit - auch im "Königreich Olaf".