Auch der FC St. Pauli hat ein Problem mit gewaltbereiten Anhängern. Höchste Zeit, selbstkritische Fragen zu stellen

Die coolen Jungs wollen immer Räuber sein. Die Rolle des Gendarmen ist ungleich schwieriger zu vergeben, weil das Rebellische, Wilde, Rohe einen größeren Reiz ausübt. Vermutlich meinen noch immer viele Anhänger des FC St. Pauli, sie seien die Rebellen in einem modernen Räuber-und-Gendarm-Spiel, das am vorvergangenen Wochenende seinen hässlichen Höhepunkt in der Alsterdorfer Sporthalle fand. Das aber war längst kein Spiel mehr, sondern blutiger Ernst: Was als Fußballturnier mit dem Titel Schweinske-Cup begann, endete in einer Saalschlacht mit Chaos, Tränen, Gewalt.

Gründe gibt es genug, beim FC St. Pauli beschämt zu sein. Doch ein Unrechtsbewusstsein sucht man bei vielen Fans, aber auch bei einigen Vertretern im Verein bis heute vergeblich.

Schuld sind immer die anderen, die Polizei, die Lübecker oder gleich der HSV-Anhang. Selbst wenn dem so wäre, sei an eine alte Fußballregel erinnert. Das erste Foul wird mit Gelb bestraft; wenn aber der gefoulte Spieler nach-tritt, gibt es Rot. Eine Regel, die im Stadion von jedem akzeptiert wird, im wahren Fanleben aber seltsamerweise schnell vergessen wird. Um es klar zu sagen: Das Verhalten der angeblichen Lübecker Fans beim Schweinske-Cup war ein Skandal - "Zick, zack, Zigeunerpack", "Schwule" oder "Judenkinder" zu rufen, zeigt, wessen Geistes - oder besser, wessen Ungeistes - Kind sie sind.

Man darf und muss sich über diese tumben Gesänge empören, man kann die Schmähgesänge aber auch überhören, übertönen, ja kontern. Einstmals wurden St.-Pauli-Fans als Zecken beschimpft, daraus wurde der selbstironische Gesang "Wir sind Zecken, asoziale Zecken". Das waren kreative Zeiten. Zuletzt produzierten St.-Pauli-Anhänger leider zu oft Negativschlagzeilen. Der Frage nach dem Warum muss sich der Verein, müssen sich die Fans dringend stellen. Bei aller - in Teilen berechtigten Kritik an der Polizei - sollte man nicht vom Kern ablenken.

Das Problem des FC St. Pauli sind weder rechtsradikale Fans aus Lübeck oder HSV-Chaoten noch überforderte Ordner oder Beamte - das Problem des FC St. Pauli ist eine offenbar wachsende Anzahl von Krawallbrüdern in der eigenen Anhängerschaft. Gewalt gegen andere wird aber nicht einen Deut besser, wenn sie im Kapuzenpulli mit Pauli-Logo daherkommt. Ein Bierbecherwurf wird nicht dadurch kultig, dass der Werfer Astra trinkt. Und das Abbrennen von Bengalos wird nicht dadurch schön, dass es im braun-weißen Block erfolgt. Mit so einem Benehmen mag man vielleicht einen Integrations-Bambi wie Bushido gewinnen können, doch der Verein als Ganzes verliert - er verliert Geld, Reputation, Charisma.

Wer beim Sieg des FC gegen den großen HSV im Stadion an der Müllverbrennungsanlage dabei war, wird sich erinnern: Als im Pauli-Block die Bengalos brannten, beschimpften sich die Fanlager gegenseitig. Die größte Gefahr für den Mythos St. Pauli, dem alternativen Verein, kommt weder von außen noch von der vermeintlich so bösen Kommerzialisierung, sie kommt aus der Mitte des Fanblocks.

Gerade deshalb sollten die Fragen der Faninitiative "Warum bist du bei St. Pauli?" intensiver diskutiert werden - und auch überraschende Antworten bekommen. Man blicke auf deren Fragen wie: "Greifst du wirklich ein, wenn aus eurem Kurvenumfeld z. B. Gegenspieler rassistisch beleidigt oder Frauen ganz offensichtlich belästigt werden?" Ja, hoffentlich greifen Fans ein, aber bitte nicht, indem sie eine Massenprügelei mitanzetteln, sodass Frauen und Kindern in Panik aus der Halle laufen. "Gerade in einer Zeit, wo der Fußball immer mehr zum Massenspektakel verkommt und soziales Engagement kommerziellen Interessen weichen muss, ist es notwendig, klar Stellung zu beziehen." Auch das stimmt, nur die Frage nach dem Wie darf nicht aus dem Blick geraten. Eine Inquisition der Rechthaber ist kein soziales Engagement. Und das archaische männerbündische Wimpelverteidigen - offenbar der Auslöser für die Krawalle von Alsterdorf - passt irgendwie auch nicht recht in einen alternativen Verein. "Wie halten wir es mit Gewalt?" -, diese Frage fehlt bei "Warum bist du bei St. Pauli?"

Dabei haben sie die Antwort schon gegeben: "Ansonsten wird auch unser Klub eines Tages nichts anderes sein als ein weiterer stinknormaler Hamburger Fußballverein ..."

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt