Der Streit ums Kreuz zeigt die Profillosigkeit der Union. Wenn Angela Merkel gefragt wird, was für sie das Wesen der Politik sei, antwortet die Kanzlerin nicht öffentlich für gewöhnlich: “Politik ist für mich die Kunst, den richtigen Zeitpunkt zu finden.“

Das ist machtpolitisch zweifelsohne richtig, und es hat sich in ihrer Karriere schon mehrfach ausgezahlt. Sie hat Kohl in einem geeigneten Moment überholt, Merz punktgenau abserviert und Stoiber durch dauerhaftes Nicht-Handeln sich selbst erledigen lassen. Mit Inhalten, Überzeugungen oder einem Wertekanon gar hat diese Art der Politik nichts zu tun. Fast fünf Jahre lang war dies vor allem in der Innenpolitik das stille Erfolgsgeheimnis der Kanzlerin. Nun nähern sich Partei und Chefin der geistig-moralischen Leere.

Wofür steht die CDU? Oder noch präziser: Wofür steht das "C"? Die Debatte um Kreuze in deutschen Schulen, die von der seit heute ersten türkischstämmigen CDU-Ministerin Aygül Özkan begonnen wurde, liefert eine klare Antwort: jedenfalls nicht mehr für "Christlich".

Auch wenn die Kanzlerin ihre politische Freundin Annette Schavan gerne sagen lässt, Jesus sei kein Konservativer gewesen und damit die enge Verbindung zwischen konservativ und christlich zu überwinden sucht, hinterlässt der Versuch der Öffnung ein Vakuum: An die Stelle von Werten und Orientierung tritt Beliebigkeit. Der Streit ums Kreuz ist symptomatisch für die Union auf fast allen Politikfeldern.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der ein klares Wertesystem gefragt ist, hat sich die Christlich Demokratische Union zur Chamäleon-Partei Deutschlands entwickelt. Diese neue C-Partei ist mal schwarz, mal rot und ziemlich oft grün. Je nachdem, was die Umgebung gerade ratsam erscheinen lässt.

Der schwarze Ole von Beust begann mit Schill weit rechts und macht jetzt grüne Bildungspolitik in Hamburg. Der schwarze Norbert Röttgen testete schon einmal, wie weit sich die Nähe zur Energiewirtschaft mit grünen Atomausstiegsplänen kombinieren lässt. Und der schwarze Thomas de Maizière spricht als Innenminister nicht mehr von "innerer Sicherheit", sondern lieber von "innerem Frieden". Unter Merkels Führung scheint fast alles möglich.

Kreuz oder Kopftuch - beides oder beides nicht: Kaum ein Thema ist so geeignet, das eigene Profil zu schärfen. Die Kanzlerin lässt diese Chance wieder aus. Dabei müsste die Chefin der Chamäleon-Partei nur so handeln wie Chamäleons eben bei Stress reagieren: Sie werden schwarz. Dann kann sie zwar jeder sehen, aber ihre Artgenossen wissen auch genau, wo sie stehen.