Der Theologe Hans Küng gilt als großer Kirchenkritiker.

Hamburger Abendblatt:

1. Was erwarten Sie vom zweiten Ökumenischen Kirchentag in München?

Professor Hans Küng:

Ich erwarte und erhoffe einen neuen Aufbruch zur Verständigung zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche - nach bald 500 Jahren Kirchenspaltung ist das längst überfällig!

2. Ist die Ökumene, der Dialog der beiden großen christlichen Konfessionen, ins Stocken geraten?

An der Basis jedenfalls nicht. Dort, zum Beispiel in vielen Gemeinden im ganzen Land, geht die Verständigung seit Langem weiter. Vor allem im Kirchenvolk und auch unter den Seelsorgern beider Konfessionen geht die Verständigung weiter. Aber in den Chefetagen sitzen viele Bremser.

3. Verhindert der Papst, dass sich die beiden Konfessionen auch inhaltlich näher kommen?

Schon Papst Paul VI. hatte während des Zweiten Vatikanischen Konzils vor fast 50 Jahren erkannt, dass aus dem Papsttum als dem Felsen der Einheit inzwischen ein Felsblock auf dem Weg zur Einheit geworden ist. Leider hat gerade Joseph Ratzinger, der Papst aus dem Lande Luthers, bisher nichts Entscheidendes zur Überwindung der Kirchenspaltung getan. Im Gegenteil belastet er das Verhältnis dadurch, dass er gegen Buchstaben und den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils behauptet, die Kirchen der Reformation seien gar keine echten Kirchen.

4. Ist ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten unrealistisch?

Im Gegenteil. Es gibt genügend ökumenische Konsensdokumente, die zum Teil auch von den katholischen Autoritäten gedeckt sind, die ein gemeinsames Abendmahl oder eine gemeinsame Eucharistie nahelegen. Und in der Praxis wird das auch immer öfter getan. Nur in Rom versucht man, diese Einheitsdokumente stets zu ignorieren.

5. Hat die Diskussion um die Missbrauchsfälle Auswirkungen auf die ökumenische Bewegung?

Leider ja. Die Missbrauchsfälle, die von Papst und Bischöfen lange bewusst vertuscht worden sind, haben gezeigt, dass es sich hier um eine Systemkrise handelt. Die damit verbundene Glaubwürdigkeitskrise belastet alle Kirchen, sogar die Religion als solche. Hier helfen nur eine grundsätzliche Besinnung und praktische Reformen, aber nicht nur Reförmchen, sondern so etwas wie eine "Zweite Reformation", nicht zur Spaltung, sondern zur Einheit der Kirche.