Waren das noch Zeiten, als vier HSV-Spieler in der Fußball-Nationalmannschaft standen. Jetzt erwartet uns eine ganz normale EM

Sommermärchen! In diesen Tagen höre ich immer wieder: Sommermärchen. Ein arg überstrapazierter Begriff. Okay, heute geht es los, am Abend rollt und fliegt der Fußball durch die osteuropäische Weltgeschichte. Aber was haben wir davon?

Die EM findet in Polen und der Ukraine statt, uns haben sie das schlechte Wetter geschickt. Keine Europameisterschaft im Biergarten, kein Fußball neben der Grillkohle - von wegen Sommermärchen. Und dann ist nicht einmal ein Hamburger in der deutschen Mannschaft vertreten, dem wir die Daumen drücken könnten. Nein, das Sommermärchen gab es nur einmal, nämlich 2006, alles das, was danach kam und kommt, kann lediglich ein "Sommermärchen light" sein. Bei diesen herbstlichen Temperaturen und dem Regen ohnehin.

Deshalb steht uns nun eine ganz normale Fußball-Europameisterschaft bevor. Mit bestimmt gutem Sport und so manchem tollen Spiel. Und dass kein HSV-Spieler im Kader von Jogi Löw steht, das hat ja schon Tradition. Bis auf 1980 hat sich Hamburg nämlich stets hanseatisch vornehm zurückgehalten, was die EM-Geschichte betrifft.

1960 gab es dieses Turnier erstmals, doch verweigerte Bundestrainer Sepp Herberger damals seiner Nationalmannschaft die Teilnahme: "Zeitverschwendung." Und als Deutschland 1972 erstmals dabei war, gab es gleich den Turniersieg. Mit der vielleicht besten DFB-Mannschaft, die es jemals gab. Ohne Hamburger. Die waren erst 1976 dabei: Rudi Kargus, Manfred Kaltz, Peter Nogly. Keiner von ihnen kam zum Einsatz. Vier Jahre später dann der Höhepunkt aus norddeutscher Sicht: vier HSV-Spieler. Und alle durften spielen: Felix Magath wurde einmal ein- und einmal ausgewechselt, Caspar Memering einmal für 90 Minuten, Manfred Kaltz in allen Begegnungen, und Horst Hrubesch kam erst in der zweiten Partie - dann aber gewaltig. Das "Kopfball-Ungeheuer" sorgte mit zwei Toren im Finale gegen Belgien für den 2:1-Sieg. Das waren noch Zeiten.

Dann aber ging's bergab mit der Hamburger EM-Beteiligung. 1984 war nur Wolfgang Rolff dabei - zwei Kurzeinsätze. 1988 keiner, 1992 keiner, 1996 beim Titelgewinn in England ebenfalls null - trostlos. Und dass Jörg Butt 2000 bei "der EM zum Vergessen" als Torwart Nummer drei auf der Bank saß, spielte auch keine Rolle mehr. Drei Spiele, kein Sieg, eine Schande - ab nach Hause. 2004 dann ohne HSV-Spieler, 2008 in Österreich und der Schweiz durfte immerhin (...) Piotr Trochowski mit, aber außer Spesen nichts gewesen. Der HSV-Mann durfte nicht eine Minute auf den Rasen. Da blieb der Jogi hart. So wie in diesem Jahr. Dennis Aogo hätte es schaffen können, aber Löw entschied sich gegen den Fast-Absteiger von der Elbe und nahm stattdessen einen Meister aus Dortmund mit. Schicksal. Und lange hanseatische Tradition.

Was lehrt uns diese magere hanseatische EM-Geschichte? So kickt der Norden. Die Wahrheit liegt auf dem Platz, sagt Otto Rehhagel. Stimmt wohl. Nur die Ersatztorhüter kommen aus Bremen und Hannover.

Vielleicht hält sich auch deshalb mein Optimismus in Grenzen. Viele Deutsche behaupten ja steif und fest: "Wir werden Europameister!" Ich glaube das nicht, weil einige Spieler angeschlagen und nicht in Form sind. Und so ganz ohne Hamburg geht das (wohl auch) nicht. Aber wenn doch, dann hätte diese EM trotz des Winters im Juni doch noch einen Hauch von Sommermärchen.

Dieter Matz, Abendblatt-HSV-Experte und Blog-Vater ("Matz ab"), mit seiner aktuellen Freitags-Analyse