Der Pulitzer-Preisträger sprach beim Hamburger Abendblatt über die ersten Interviews mit dem NSA-Enthüller Edward Snowden.

Hamburg. Am Anfang der sensationellen Enthüllungsgeschichte, die in Schockwellen über den Erdball rasen sollte, stand blanker Unglauben. Verfügte dieser junge Mann namens Edward Snowden tatsächlich über gigantische Dateien an hochbrisantem Geheimdienstmaterial? Ewen MacAskill, Geheimdienst- und Verteidigungsredakteur beim Londoner „Guardian“, der am Ende für die NSA-Enthüllungsgeschichte den begehrten Pulitzer-Preis erhielt, berichtete am Montag in Hamburg auf der Konferenz der Medien-Ombudsleute im Dialog mit „Guardian“-Leserredakteur Chris Elliot aus erster Hand über die Anfänge der ungeheuerlichen Story und über den riskanten Balanceakt zwischen Informationsfreiheit und Geheimdienstinteressen.

Im Mai 2013 hatte MacAskill vom „Guardian“ den Auftrag erhalten: Flieg morgen nach Hongkong! Dort hatte sich ein milchgesichtiger Edward Snowden an MacAskills Kollegen Glenn Greenwald gewandt und ihm erzählt, er habe Dateien mit 60.000 Seiten an Material des amerikanischen Supergeheimdienstes NSA zu übergeben.

„Snowden, der aussah wie 22, sagte, er arbeite für die NSA, habe auch schon US-Spezialeinheiten ausgebildet sowie für die CIA gearbeitet. Wir dachten erst, das ist ein Irrer, und erwarteten jeden Morgen, dass er verschwunden ist.“ Als Code dafür, dass die Sache doch echt war, sollte der Bierliebhaber MacAskill den denkwürdigen Satz „Das Guinness ist gut“ übermitteln.

Snowden und sein Material erwiesen sich tatsächlich als echt, aber die „Guardian“-Redakteure zogen Geheimdienstexperten zu Rate und wandten sich sogar an das Weiße Haus und die britische Regierung, bevor sie begannen zu veröffentlichen. Die Amerikaner kooperierten, die Briten mauerten und drohten.

Wenn die US-Experten um mehr Zeit für die Prüfung der Dokumente baten, bekamen sie sie; andererseits löschten die „Guardian“-Leute Namen, um Geheimdienstoperationen nicht zu gefährden. Es gab einen bewachten Sicherheitsraum, wo die Journalisten das Material sichteten.

„Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn wir die Dokumente einfach ungefiltert ins Netz gestellt hätten, wie das Julian Assange mit den WikiLeaks-Akten gemacht hat“, sagte Ewen MacAskill. Da ging es etwa um brisante Operationen in Afghanistan, in Asien und im Mittleren Osten. Dennoch werfen ihm die britischen Geheimdienstbehörden vor, ihren Antiterror-Aktionen großen Schaden zugefügt zu haben.

„Die Geschichte ist noch nicht vorbei“, sagte Chris Elliot, „der britische Geheimdienst will Vergeltung – und den ‚Guardian‘ bestrafen.“ MacAskill, der drei Söhne etwa in Snowdens Alter hat, machte dem Ex-Spion klar: „Dein Leben ist im Eimer, du wirst dann nirgendwo auf der Welt mehr sicher sein.“

Aber Snowden habe die Veröffentlichung gewollt, habe sie auch ausdrücklich mit seinem Namen gewollt. Er wäre viel lieber in Deutschland oder in einem anderen Land als Russland, aber dort genieße er immerhin einen gewissen Schutz vor der US-Verfolgung. Britische Gesetze zwangen „Guardian“-Chefredakteur Alan Rusbridger schließlich zu der eher symbolischen Zerstörung von Computerfestplatten unter Aufsicht des Geheimdienstes GCHQ. Das NSA-Material durfte nicht in Großbritannien sein; die Dateien selber lagerten derweil sicher in New York.

Aber nicht nur der Geheimdienst, sondern auch die anderen britischen Zeitungen nahmen dem „Guardian“ die Enthüllung sehr übel. „Die ‚Daily Mail‘ druckte gar ein Foto von Rusbridger mit der Zeile ‚Verrat‘“, erzählte Chris Elliot. Dies erkläre sich durch den Umstand, dass die Briten ihren Geheimdiensten traditionell stärker vertrauten und eine Art James-Bond-Romantik pflegten. 40.000 Internet-Kommentare verzeichnete die Zeitung täglich. Viele waren durchaus wohlwollend, doch unter ihnen fanden sich auch wüste Todesdrohungen aus den USA.