Das Magazin berichtet, der FDP-Politiker habe eine Journalistin bedrängt. Parteifreunde vermuten Kampagne, auch aus SPD kommt Kritik.

Lange nicht mehr hat ein "Stern"-Artikel eine solche Anzahl öffentlicher Reaktionen ausgelöst wie "Der Herrenwitz", ein Porträt des FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle. Darin beschreibt "Stern"-Reporterin Laura Himmelreich eine Situation beim Dreikönigstreffen im vergangenen Jahr. "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen", soll Brüderle demnach unter anderem zu der Journalistin gesagt haben und zudringlich geworden sein.

Seit der Veröffentlichung am Donnerstag beschäftigt der Artikel andere Medien, soziale Netzwerke sowie die Parteien. Die "taz"-Autorin Anja Maier etwa zeigte sich überzeugt, Himmelreich habe das Richtige getan: "[...] es ist nicht hinnehmbar, dass Politiker meinen, sie seien qua Mandat unwiderstehlich." Auch die Vorsitzende des Vereins Pro Quote, Annette Bruhns, begrüßte es, dass Journalistinnen darüber schreiben, wenn sie von Politikern sexuell belästigt werden. "Ich erkläre mir das damit, dass sich Unternehmenskulturen verändern. Dass Frauen darüber berichten, heißt, dass sie das nicht lustig finden und dass die Redaktion das auch nicht lustig findet."

Aus der eigenen Partei bekommt Brüderle unterdessen Rückendeckung. Außenminister Guido Westerwelle nahm den designierten FDP-Spitzenkandidaten gegen die Belästigungsvorwürfe in Schutz: "Diese Art der Berichterstattung ein Jahr nach einem angeblichen Vorfall ist zutiefst unfair", sagte Westerwelle am Donnerstag auf dem Flug nach Lissabon. Zudem sei es "unmöglich", Brüderles Ehefrau Angelika in die Berichterstattung hineinzuziehen.

Der FDP-Politiker Rainer Stinner erklärte im Deutschlandfunk, er halte es für unprofessionell, dass die Journalistin diese Vorwürfe genau dann herauskrame, wenn Brüderle eine herausragende Position in der Partei übernehme. Das sei durchsichtig und primitiv. Der thüringische Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth meinte: "Das riecht nach Inszenierung statt Recherche." Der "Mitteldeutschen Zeitung" sagte er, es gebe keine Belege und keine Zeugen für die Darstellung. Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er zudem, er werde künftig nur noch mit "alten grauen Redakteuren" sprechen. Der Medienunternehmer und stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Liberalen in Rheinland-Pfalz, Tobias Huch, twitterte an die Adresse der Journalistin: "Da ist der Wunsch der Vater des Gedanken."

"Stern"-Chefredakteur Thomas Osterkorn verteidigte das drei Seiten lange Porträt in seinem Blatt. Es sei legitim, so Osterkorn. Der erste Eindruck, den die Autorin Laura Himmelreich vor einem Jahr vom Umgang des FDP-Politikers mit Frauen gewonnen habe, sei "im Laufe der Zeit bei weiteren Beobachtungen und Begegnungen" bestätigt worden. Es scheine ein "wiederkehrendes Verhalten" zu sein. Junge Journalistinnen seien kein Freiwild, "weder für Piraten noch für ältere Herren aus der Politik", erklärte Osterkorn weiter. Erst kürzlich hatte die Journalistin Annett Meiritz im "Spiegel" darüber berichtet, wie sie von Mitgliedern der Piratenpartei als "Prostituierte" beschimpft worden sei. Auch dieser Text wurde in Politik und Medien viel diskutiert.

Auf der Facebook-Seite des "Sterns" wird unsanft mit dem Magazin umgegangen: "Stern, ab ins Dschungelcamp", "Gossenjournalismus" und "Geschmacklose Schmierengeschichte" steht dort unter anderem geschrieben. Autorin Laura Himmelreich rechtfertigte ihre Schilderungen selbst per Twitter: "Warum kommt erst jetzt die Geschichte? Weil es relevant ist, wenn das ,neue Gesicht' der FDP veraltete Klischees lebt."

Angegriffen wird Himmelreich vor allem, weil zwischen den Zudringlichkeiten des Politikers an einem Abend des Dreikönigstreffens 2012 und der Veröffentlichung des Porträts ein ganzes Jahr lag. Die Vorsitzende der FDP-Frauenorganisation, Doris Buchholz, erklärte: "Ich weiß nicht, warum die Journalistin ein ganzes Jahr wartet und jetzt so eine Story daraus macht. Da reagiere ich doch sofort."

Der SPD-Politiker Sebastian Edathy warf Himmelreich ein "merkwürdiges Berufsverständnis" vor, wenn sie "um Mitternacht an einer Hotelbar ein offizielles Gespräch mit einem Politiker" habe führen wollen. "Wenn die betroffene Journalistin das Geschehen als übergriffig empfunden hat, hätte sie das schon vor einem Jahr öffentlich machen können."

Im Gespräch mit der "Stern"-Reporterin Himmelreich sagt Rainer Brüderle demnach auch: "Politiker verfallen doch alle Journalistinnen." Nach Mitternacht verabschiedete er sich nach ihrer Schilderung von anderen Gästen der Hotelbar und "steuert mit seinem Gesicht sehr nah auf mein Gesicht zu". Brüderles Sprecherin habe eingegriffen und ihn schließlich aus der Bar geführt.