Im gelungenen ARD-“Tatort“ aus Kiel stehen Ermittlungen über den Politiker Uwe Barschel im Mittelpunkt, der vor 25 Jahren starb.

Schummerig und eng ist es auf dem Hausboot, in dem die Leiche eines Kieler Romanautors liegt. Borowski und seine Assistentin Sarah Brandt knallen beinahe mit den Köpfen zusammen, als sie zu nächtlicher Stunde zwischen Bücherregal und Kühlschrank nach Hinweisen auf den Mörder suchen. Sie werden im Lauf der Ermittlung ein Hotelzimmer auf der ersten gemeinsamen Dienstreise teilen und sich ankeifen wie ein altes, sich ständig kabbelndes Ehepaar. "Borowski und der freie Fall" ist in jeder Hinsicht ein ungewöhnlicher "Tatort", nicht nur was das Zusammenspiel des Ermittlerduos angeht.

Der Film von Eoin Moore (Produktion: Studio Hamburg) verwebt einen Mord von heute mit einem Kriminalfall der Zeitgeschichte: dem 25 Jahre zurückliegenden Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel. Klingt bizarr, funktioniert aber prächtig. Grundsätzlich ist der Barschel-Fall ja bis heute nicht gelöst. Ob er aus eigenem Antrieb starb oder umgebracht wurde, in jener Nacht zum 11. Oktober 1987 in einer Badewanne im Genfer Hotel Beau Rivage, wird vermutlich niemals mit letzter Sicherheit festzustellen sein. So gesehen bietet der Fall eine Spielwiese für bonbonbunte Verschwörungstheorien und Mutmaßungen. Ganz vorne dran mit angeblich brisanten Enthüllungen war auch der ermordete Autor, der jedes Fitzelchen Wand in seiner Kellerschreibstube mit Zeitungsschnipseln zum Tod des Politikers tapeziert hat.

Axel Milbergs Hauptkommissar Borowski markiert in diesem "Tatort" den großen Skeptiker, der die Augenbrauen amüsiert tanzen lässt, wenn die junge Kollegin, von Film zu Film selbstbewusster gespielt von Sibel Kekilli, begeisterungstrunken über eine Lösung des Falls sinniert. Als junger Kommissar im Ermittlungsteam Barschel hat er einst Fleißpunkte gesammelt für die millimetergenaue Prüfung der verschiedenen Mordtheorien - Bundesnachrichtendienst, Stasi, CIA, KGB, Mossad und italienische Mafia - und hält all jene für meschugge, die weiterhin Verschwörung wittern. Borowski glaubt an Fakten, an ihre Tragweite und ihren Charme.

Klar, dass die Barschel-Ermittlung der Gegenwart aus der Perspektive von Kommissarin Brandt erzählt wird. Sieben Jahre alt war sie, als der Minister starb, der ihr ähnlich fremd ist wie Käseigel und Wählscheibentelefone und trotzdem ihren kriminalistischen Instinkt kitzelt. Irgendwann ist auch Borowski infiziert, der sich vorkommen muss wie der einzige stocknüchterne Mensch in einem Raum voller Betrunkener. "Sie haben mich angesteckt mit ihrem Jagdinstinkt", grummelt er.

In der ersten halben Stunde ist dies ein "Tatort" wie jeder andere auch; zum Politkrimi wandelt er sich erst allmählich. Der tote Autor war nicht nur ein Barschel-Insider auf heißer Spur, sondern auch ein Mann mit einem komplizierten Privatleben. Er war pleite und alkoholkrank, stand kurz vor seinem Coming-out. Er hinterlässt die frühere Ehefrau, eine Fernsehjournalistin, die es in die Oberliga der Talkshowmoderatorinnen geschafft hat, sowie seinen Geliebten, einen Landespolitiker mit Ambitionen auf höhere Posten.

Thomas Heinze spielt ihn als aalglatten Karrieristen, der sich immer mehr zu einem innerlich Gebrochenen wandelt, in dessen Haut man nicht stecken möchte. Marie-Lou Sellem gibt die Journalistin als ein mit allen medialen Wassern gewaschener Vollprofi mit der nötigen Unverfrorenheit im Blick, die Beine und Zähne gleichermaßen zeigt. Nach Sendeschluss braust sie allein zur Tankstelle und betrinkt sich hinter dem Steuer.

"Borowski und der freie Fall" ist jenseits des Krimiplots eine Abhandlung über Macht(missbrauch), Aufstieg und Fall. Geschickt lässt Regisseur Moore in seinem Drehbuch den öffentlichen Druck, unter dem auch Barschel stand, in den Biografien seiner Figuren aufschimmern. Er erzählt davon, wie schwierig es ist, unter Beobachtung der Öffentlichkeit zu leben, wenn man im Privaten ein Geheimnis hat. Und davon, was Menschen zu tun in der Lage sind, wenn ihr Geheimnis aufzufliegen droht.

Jede neue Spur im Fall Barschel hat bislang nur weitere Fragen aufgeworfen und eine Klärung des Falls nur noch unwahrscheinlicher gemacht. Daran ändert auch dieser ungewöhnliche, faszinierende und dicht erzählte "Tatort" nichts, der sich bei aller dichterischen Freiheit an die juristisch wasserdichten Fakten hält und selbstredend im Fall des toten Romanschreibers pünktlich zum Abspann einen Mörder präsentieren kann, nicht aber in der Barschel-Affäre. Nur Sibel Kekillis Kommissarin, die glaubt vielleicht immer noch ... und wird womöglich, wenn gerade keiner guckt ... Aber das ist ein anderer Film.

"Borowski und der freie Fall" So, 20.15 Uhr, ARD