In seinem Film “Die Falle 9/11“ zeigt der Terrorismus-Experte Stefan Aust Bilanz, in welche fatalen Verstrickungen der Kampf gegen al-Qaida geführt hat.

Hamburg. Im Studio seines Hauses in Blankenese hat Stefan Aust gerade die letzten Tonaufnahmen für seinen Film abgeschlossen. Eine komplizierte Schaltung verband sein kleines Team mit dem Sprecher in Berlin. Der Film "Die Falle 9/11" ist ein aufwendiges Projekt über viele Monate gewesen; er zieht einen weiten Bogen von den Ereignissen unmittelbar nach den Anschlägen bis zu der heutigen, völlig veränderten Lage. In seinem Büro mit Blick auf die Elbe erklärt Aust im Interview, warum "Falle" für ihn ein Schlüsselbegriff ist.

Hamburger Abendblatt: Wo waren Sie am 11. September 2001?

Stefan Aust: Ich war in München und stieg gerade ins Flugzeug, als mich ein Kollege anrief und sagte: Es ist ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen. Als ich dann in Hamburg landete, kam sein nächster Anruf: Es ist ein zweites Flugzeug hineingeflogen. Da wusste man erst, dass es wirklich ein Terroranschlag war. Ich war damals noch beim "Spiegel" und habe sofort alles für die Berichterstattung in die Wege geleitet.

In Ihrem Film "Die Falle 9/11" legen Sie jetzt nahe, dass al-Qaida damals einen dezidierten Plan hatte, die USA und deren Verbündete über Jahre in Kriege zu verwickeln. Woran machen Sie das fest?

Aust: Ich bin ganz sicher, dass es so gewesen ist. Aus dem, was Bin Laden, sein Stellvertreter al-Sawahiri und andere schon vorher gesagt hatten, geht eindeutig hervor, dass sie die Amerikaner in einen zermürbenden Krieg ziehen wollten. Sie waren ja in den 1980er-Jahren in Afghanistan Verbündete der USA gewesen und schafften es mit amerikanischer Unterstützung, dass die Sowjets völlig ausgeblutet als geschlagene Armee aus Afghanistan abziehen mussten - was letztlich auch ein Grund für den Zusammenbruch der Sowjetunion war. Dieses "afghanische Experiment" wollte Bin Laden wiederholen. Das sagt in unserem Film auch der CIA-Beamte und Pakistan-Spezialist Bruce Ridell, der heute Barack Obama berät. Hinzu kam, dass al-Qaida zwei Tage vor 9/11 den Chef der Nordallianz in Afghanistan, General Massoud, getötet hatte. Er war der Einzige, der im Auftrag der Amerikaner dort einen Krieg gegen al-Qaida und die Taliban hätte führen können. Seine Ermordung zwang die Amerikaner dazu, selbst "boots on the ground" zu setzen und in Afghanistan einzumarschieren.

+++Der Film "Die Falle 9/11"+++

+++Der Terror-Anschlag vom 11. September+++

Und das war der Anfang vom Ende?

Aust: Ja. Der amerikanische Präsident George W. Bush hat schon in seiner ersten öffentlichen Erklärung nach dem 11. September gesagt: Wir werden nicht nur diejenigen verantwortlich machen, die die Anschläge verübt haben, sondern auch die Länder, die sie unterstützen und ihnen Unterschlupf gewähren. Damit war klar: Er greift nicht nur al-Qaida an, sondern auch das Land, in dem al-Qaida seine Basis hat. Bush hat sich nicht mit ein paar Cruise-Missiles und Kommando-Aktionen begnügt. Der Fehler begann in dem Moment, als man anfing, Afghanistan mit großem militärischen Aufwand zu besetzen und einen neuen Staat aufzubauen. Da wurde es sehr gefährlich. Und da ist Amerika bis heute auch nicht wieder rausgekommen.

Was in der Rückschau auffällt: Viele Deutsche befassten sich damals zum ersten Mal mit dem Islam, viele Hamburger besuchten zum ersten Mal eine Moschee. Mit dem 11. September 2001 rückte das Thema Islam und Islamismus schlagartig ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Kaum jemand wusste, woher der Al-Qaida-Islamismus kam.

Aust: Es gibt keine einzige terroristische Bewegung auf der Welt, die nicht auf irgendeine Weise eingebettet ist in eine größere, radikale politische Bewegung. Das ist in Irland mit der IRA und deren nicht militärischem Arm so, das war im Baskenland so, in Palästina. Die RAF war eingebettet in ein großes linksradikales Umfeld. Und al-Qaida war die Speerspitze der sehr breiten radikalen islamistischen Bewegung.

Das war aber damals eher Geheimdienstwissen. Sind auch die Geheimdienste in eine Falle getappt?

Aust: Wir zeigen in unserem Film, dass gerade die CIA Bin Laden und al-Qaida sehr wohl im Visier hatte. 9/11 war ja nicht das erste Attentat, es gab vorher schon einmal einen Anschlag auf das World Trade Center, Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Tansania und Kenia, auf den US-Flugzeugträger "USS Cole". Man hat damit gerechnet, dass etwas passiert, vielleicht im Ausland, gegen amerikanische Stützpunkte oder Botschaften. Womit man aber nicht gerechnet hat, war, dass al-Qaida die Logistik, die Geschicklichkeit und das Know-how hat, einen Anschlag dieser Größenordnung innerhalb der USA zu verüben.

Lag auch in der Inszenierung des Anschlags eine Falle?

Aust: Die war Teil der terroristischen Strategie. Es geht darum, zu töten und möglichst viel Schaden anzurichten, aber das Töten ist Teil einer Kommunikationsstrategie, man will damit Aufsehen erregen. Insofern war 9/11 der perfekte Anschlag: Man schickt ein Flugzeug in einen der Zwillingstürme, wartet, bis alle Kameras live geschaltet sind, und schickt dann das nächste Flugzeug in den anderen Turm.

Die Bilder selbst sollen die Menschen immer wieder terrorisieren?

Aust: Ja. Terrorismus hat immer drei Komponenten: das Töten, die Kommunikation und die Provokation.

Welchen Spielraum hätte der US-Präsident denn gehabt, der Falle zu entgehen? Hätte ein demokratischer Präsident anders gehandelt?

Aust: Ich glaube, jeder Präsident der Vereinigten Staaten hätte massiv reagiert. Da gab es keine wirkliche Alternative. Die Amerikaner haben ja auch in kürzester Zeit die Taliban besiegt. Aber dann haben sie einen großen Fehler gemacht, indem sie das Land dauerhaft besetzten. Und der zweite Fehler war eine spezielle Entscheidung von George W. Bush: in den Irak zu gehen. Wir erzählen in dem Film genau, wie schon in der Nacht nach dem 11. September die Idee auftauchte, gegen Saddam Hussein zu Felde zu ziehen. Obwohl er mit 9/11 nichts zu tun hatte, im Gegenteil. Er war ein schrecklicher Diktator, aber ein Feind von al-Qaida. Er war auch kein Islamist.

In einem "Feldzug gegen das Böse" bleibt keiner gut. War absehbar, dass sich die USA in ihrer Kriegsführung moralisch angreifbar machten?

Aust: Ja, das war die nächste, die moralische Falle. Terrorismus ist immer der Versuch, die Reaktion des Gegners vorher in den Plan einzubeziehen. Die RAF hat es so ausgedrückt: Man wolle den Staat durch Anschläge dazu zwingen, sein "wahres faschistisches Gesicht" zu zeigen. Wenn Sie Terroristen bekämpfen und in einem Guerillakrieg sind, diktiert Ihnen der Gegner praktisch die Bedingungen, er greift Sie hinterrücks und auf gemeinste Weise an. Es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, dabei sauber zu bleiben. Das ist den Amerikanern auch passiert. Erst in Afghanistan, dann im Irak haben sie versucht, die Terroristen dingfest zu machen. Leute, die sie für Terroristen hielten, haben sie ins Gefängnis gesperrt. Um aus ihnen etwas rauszukriegen, mussten sie sie "enhanced interrogations", also verschärften Verhören unterziehen, das ist schlichtweg Folter ...

Und das kam heraus.

Aust: Es haben nicht alle darüber den Mund gehalten. Und manche haben sich sogar gegenseitig dabei fotografiert, wie sie Gefangene quälten. Und wie sie das wie ein sadistisches Freizeitvergnügen umsetzten, was schon in ihren Richtlinien für verschärfte Verhörmethoden stand: nackt ausziehen, sexuell demütigen, die Angst vor Hunden ausnutzen und dadurch Stress schaffen. Das hatte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld genehmigt. So tappten die USA in die moralische Falle.

Auch die RAF hatte es darauf angelegt, den Staat zu "demaskieren".

Aust: Aber der bundesdeutsche Staat ist - wahrscheinlich weil er Lehren aus dem Dritten Reich gezogen hat - in diese Falle nicht wirklich geraten. Es hat damals in Deutschland zwar auch mal Übergriffe gegenüber RAF-Gefangenen gegeben, und die Isolationshaft am Anfang war nicht das, was man sich unter einem rechtsstaatlichen Gefängnissystem vorstellt. Aber verglichen mit dem, was in Abu Ghraib, Guantánamo und vor allem in illegalen CIA-Gefängnissen passierte, ist man in Deutschland mit Terroristen noch human umgegangen.

Hat denn auch Deutschland nach 9/11 seine Unschuld verloren?

Aust: Der Sündenfall für die Deutschen war meiner Meinung nach Kundus. Es war quasi die große Lüge der deutschen Politik zu sagen: Das ist ein Stabilisierungseinsatz und kein Krieg, und deshalb müssen wir unsere Soldaten auch nicht für einen Krieg ausrüsten. Als der deutsche Oberst Georg Klein dort den Dienst angefangen hat, gab es schon am ersten Tag schwere Anschläge, er hat mehrere Soldaten durch hinterhältige Sprengstofffallen verloren. Die Panzerhaubitze 2000, mit der man Beschuss sehr wirksam abwehren kann, wurde den deutschen Truppen erst im Mai 2010 nach Afghanistan geschickt. Oberst Klein hatte im September 2009 noch keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, dass die Taliban Tankwagen als Bomben einsetzten. Um seine Leute zu schützen, hat er gefordert, Bomben abzuwerfen, von denen auch Unschuldige getroffen wurden. So gerieten auch die Deutschen in die moralische Falle.

Und heute? Ist nicht auch al-Qaida längst historisch? In den Rebellionen des arabischen Frühlings spielten Islamisten bisher keine Rolle. Und Bin Laden ist tot.

Aust: In gewissem Sinn ist das Kapitel 9/11 mit Bin Ladens Tod beendet. Aber sein Stellvertreter Sawahiri ist immer noch tätig. Die Gruppe hat sich verändert. In Afghanistan versuchen die Taliban wieder an die Macht zu kommen, Pakistan ist in einer sehr schwierigen Situation. Im Jemen haben offenkundig al-Qaida und ähnliche Gruppen sehr starken Einfluss auf die Rebellen. Und wie es in Libyen oder Ägypten ausgeht, kann man noch nicht sagen. Viele Geheimdienstleute, mit denen ich gesprochen habe, sehen die Entwicklung dort nicht nur mit Optimismus. (abendblatt.de)