Eine Studie untersucht, warum TV-Serien wie “Im Angesicht des Verbrechens“ viele Fans, aber mäßige Quoten haben.

Die perfekte Fernsehwoche, sie könnte so aussehen: Am späten Freitagabend haut eine russisch-jüdische Mafiafamilie ein dickes Bündel Scheine für Koks und Mädchen auf den Kopf. Zwei Tage später kämpft eine dickköpfige Kopenhagener Kommissarin gegen ihre Vorgesetzten und löst im Alleingang die Verbindung zwischen einem getürmten Ex-Soldaten und einer ermordeten Anwältin. Und Mittwoch schließlich prostet der smarteste Werber aller Zeiten seinen Sekretärinnen mit einem ordentlichen Schluck Whiskey auf dem Büroflur zu. So weit, so hochkarätig. Nur enthält das Szenario einen kleinen Schönheitsfehler: Das Publikum nämlich richtet seinen Alltag nicht mehr nach den Programmvorgaben der öffentlich-rechtlichen Sender. Ob "Im Angesicht des Verbrechens", "Kommissarin Lund" oder "Mad Men" - längst hat es andere Wege entdeckt, seine Lieblingsserien zu konsumieren.

Nach Maßnahmen, um den schleichenden Zuschauerverlust aufzuhalten, suchen Fernsehschaffende nicht erst seit gestern. "Programmstrategien 2015" heißt eine Studie des Grimme-Instituts und des Instituts für Medien- und Kompetenzförderung, die jetzt auf dem Fernsehfilm-Festival Baden-Baden vorgestellt wurde und sich mit der veränderten Mediennutzung im Allgemeinen und der Rolle des Internets im Besonderen befasst. Sie basiert auf Gesprächen mit Kreativen: Stoffentwickler, Autoren, Regisseure, aber auch ausgewählte Senderverantwortliche. "Die Linearität des Programms wird in Zukunft keine Rolle mehr spielen - vor allem für die Jüngeren nicht", sagt Projektleiter Lutz Michel.

Mit Blick auf die oben genannten Serien mag man ihm schwerlich widersprechen: Der US-Erfolg "Mad Men" ist zweifellos die stilprägende Serie der Gegenwart, gesendet wird sie hierzulande beim Spartenkanal ZDFneo (mittwochs, 22.30 Uhr), den nur jeder zweite deutsche Haushalt empfangen kann. Zwar fährt ZDFneo mit Don Draper und seinen gestriegelten Kollegen von der Madison Avenue das Fünffache seiner bisherigen Durchschnittsquote bei den 14- bis 49-Jährigen ein - was jedoch nur einer Gesamtzuschauerzahl von rund 100 000 entspricht. Die wahren Fans haben sich die DVD-Serienboxen beim Internetversand bestellt oder im iTunes-Store von Apple heruntergeladen.

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Ein weiteres Ergebnis der Studie: TV-Erlebnisse, für die sich die ganze Familie am Abend gemeinsam um den Bildschirm versammelt, sind im Begriff des Verschwindens. Sicher, es gibt den RTL-Erfolg "Das Supertalent", "Schlag den Raab" und den "Eurovision Song Contest", gelegentlich noch "Wetten dass?!" und verlässlich die Sommerwochen der Fußballweltmeisterschaft. Nicht zu vergessen Überraschungshits wie das Mittelalterstück "Die Wanderhure" mit Alexandra Neldel, das zehn Millionen Menschen interessierte.

Die Zeiten von Straßenfegern wie "Monaco Franze", "Der große Bellheim" und anderen Fernsehwundern aber schienen noch nie so vorbei zu sein wie heute - und das, obwohl man auf der Stelle seinen Job kündigen und den Freundeskreis auflösen müsste, um sich all den großartigen Formaten zu widmen, die meist aus Amerika zu uns herüberschwappen : "The Wire" und "Breaking Bad", "Californication" und "Damages", um nur ein paar zu nennen. Nichts davon war nur annähernd so erfolgreich wie, sagen wir, die ARD-Schmonzette "Um Himmels Willen", oder die dritte "Tatort"-Wiederholung.

Die dänische Krimiserie "Kommissarin Lund" (letzte Folge am Sonntag, 22 Uhr), die in ihrer Heimat für Einschaltquoten von bis zu 70 Prozent sorgte, schlägt sich im ZDF zwar achtbar, wirklich bemerkenswert aber sind die Abrufe in der Mediathek, die aktuell bei rund 600 000 liegen und dem Zuschauer zeitversetztes Sehen ähnlich wie mit dem Festplattenrekorder erlauben. Was das Krimi-Epos "Im Angesicht des Verbrechens" betrifft: Die zehnteilige Serie von Dominik Graf wird als wohl traurigstes Beispiel für die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in die Annalen des diesjährigen Fernsehjahrs eingehen. Als eine Produktion, die Kritiker jubeln ließ und von den ARD-Programmverantwortlichen wegen schlechter Quoten an diesem Freitag in die Nacht verbannt wurde.

Deutschland ist kein Seriennotstandsgebiet. Der Zuschauer weiß, wo er Qualität findet. Nur spielt das Fernsehen dabei schon jetzt keine allzu große Rolle mehr.