Armin Rohde spielt im beeindruckenden ARD-Drama “Alleingang“ einen irren Geiselnehmer, der verzweifelt nach der Liebe sucht.

Hamburg. Vier Geiseln und ein durchgeknallter Geiselnehmer unterwegs in einem Zug nach nirgendwo. Die Konstellation klingt mehr nach Tarantino als nach klassischer ARD-Unterhaltung, was ja schon mal eine gute Nachricht ist. Aber der Reihe nach: Ein zu lebenslanger Haft Verurteilter ist ausgebrochen und will sich an dem Mann rächen, der ihn damals in den Knast gebracht hat: Hauptkommissar Josef Zuckmaier, gespielt von Alexander Held. Ein stiller Gebrochener, der in Therapie ist, seit seine Frau mit dem Kollegen durchgebrannt ist. Gegensätzlicher als dieser Mann und der großschnäuzige Kiezkönig Mattock, der immer leicht an der Grenze zum Wahnsinn tänzelt, sind zwei Menschen schwer vorstellbar.

Wer könnte solch eine Figur besser spielen als Armin Rohde, der seine Karriere mit den schrägsten Prollfiguren begründet hat und selbst in Nebenrollen den Bildschirm zu sprengen droht, einer Naturgewalt gleich. Und was für Nebenrollen hat er gespielt: den Lederrocker Bierchen in Sönke Wortmanns "Kleine Haie", der mit dem Satz "Fahrbier, find ich okay" in die deutsche Filmgeschichte eingegangen ist. Er war ein schwuler Metzger in "Der bewegte Mann", ein gedrungenes Bündel Liebeskummer in "St. Pauli Nacht", in beiden Rollen lief er größtenteils nackt durchs Bild.

Auch in Hartmut Schoens beeindruckendem Drama "Alleingang" muss er die Hosen runterlassen. Der Bauch spannt über dem Bund, Schweißflecken zieren das Unterhemd, die Gesichtshaut ist gerötet, als ginge der Bluthochdruck jeden Moment durch die Decke. Die Kunst des Schauspielers Rohde liegt nun darin, dass er seinen Kraftbolzenrollen eine verletzliche Note mitgibt, ein filigranes Gemüt, das unter dem massiven Panzer gelegentlich aufblitzt. Er paart das Diabolische mit verspielter Kindsköpfigkeit; wem das gelingt, der kann alles spielen, Räuber Hotzenplotz und Terroristen, Märchenonkel und Mörder. Auch "King", der eine Spitzenposition einnehmen dürfte im Kampf um die unsympathischste Figur im Hauptabendprogramm, rührt den Zuschauer in manchen Szenen als Narzisst, der verzweifelt nach Liebe sucht.

"Alleingang" ist nämlich auch das: eine große Einsamkeitsstudie. Kommissar Zuckmaier hat sich nach der Trennung in sein Schneckenhaus zurückgezogen, will nicht reden, nicht nachdenken, nicht neu anfangen. "Ich will dich nicht sehen", sagt er bockig zu seiner Frau und dreht ihr dann einfach den Rücken zu, als könne diese Geste ihm helfen, die Augen zu verschließen vor der Wirklichkeit. Vor einem Leben ohne sie.

Als Polizistenehefrau vermittelt die wunderbare Maria Schrader, die viel zu selten zu sehen ist im deutschen Fernsehen, ein Gefühl davon, was dieses Wort eigentlich bedeutet, wie viel angstvolles Warten und vertanes Nichtstun in ihm steckt. Wie ein Rettungsschirm wirkt sie in ihrem knallorangefarbenen Mantel, aber retten kann sie hier gar nichts, auch wenn sie noch so zärtlich dreinschaut.

Vor schönster Postkartenkulisse - links die schneebedeckten Alpen, rechts eine grasgrüne Au - brettert der Geisterzug durchs Land. Geschmückt mit Glitzergirlanden, die Presse berichtet vor Ort, den Insassen werden Nudeln geliefert und Salat mit Shrimps. Alles so, wie "King" Mattock es sich per Funk gewünscht hat.

Klar, man weiß bei dieser Art von Dramaturgie: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser Wahnsinnstrip aus dem Ruder läuft, bis "King" erst die Kontrolle und dann seinen letzten Fetzen Vernunft verliert. Und doch ist man überrascht. Denn so laut und paukenschlagend der Film angefangen hat, so leise, beinahe melancholisch geht er zu Ende. Keine Spur mehr vom Obskuritätenkosmos eines Quentin Tarantino, im Gegenteil.

Da steht also der Kommissar tatsächlich in seinem frisch angelegten Vorgarten, rupft Grashalme und werkelt an einer Idylle, von der er und der Zuschauer genau wissen, dass es sie für ihn niemals geben kann.

"Alleingang" heute, 20.15 Uhr ARD