Vor mehr als 34 Jahren für die Staatsoper geplant: Aribert Reimanns Oper erlebt endlich ihre Hamburger Erstaufführung

Spät kommt der "Lear" nach Hamburg, aber er kommt. Eigentlich war Aribert Reimanns Shakespeare-Oper nämlich zum 300. Jubiläum der Hamburger Oper in Auftrag gegeben worden. Doch als Intendant August Everding 1977 nach München wechselte, nahm er die Idee und den Auftrag an seine neue Wirkungsstätte mit. Und so kam eine der meistgespielten zeitgenössischen Opern 1978 bei der Konkurrenz von der Bayerischen Staatsoper heraus. 34 Jahre später holt Simone Young das damals Entgangene bald nach: Am 15. Januar 2012 erlebt Reimanns "Lear" in der Inszenierung von Karoline Gruber und unter der Leitung von Simone Young seine Hamburger Erstaufführung.

Mit der Vertonung von William Shakespeares "Lear" gelang Aribert Reimann etwas, an dem zuvor selbst ein Giuseppe Verdi gescheitert war. Rund 40 Briefe an verschiedene Librettisten bezeugen Verdis vergebliche Mühe, den "Lear"-Stoff in eine Oper zu verwandeln. Der Regisseur Hans Neuenfels, der "Lear" jüngst an der Komischen Oper in Berlin inszenierte, hat eine griffige Erklärung dafür, warum Reimann gelang, woran Verdi scheiterte: Für die bodenlose, existenzielle Düsternis dieses Dramas sei der rüstige Bauer von Roncole einfach nicht pessimistisch genug gewesen. Erst jemand, der durch die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts hindurchgegangen sei, könne die Welt wieder so schwarz sehen, wie Shakespeare sie im "King Lear" schildert.

Der Komponist Reimann (Jahrgang 1936), dem sich in seiner Jugend die Erfahrungen von Krieg und Vertreibung tief in die Seele gebrannt haben, sieht das ähnlich: "Ich glaube, dass unsere Psyche, unser Denken, auch unsere Sprache durch das, was wir in diesem Jahrhundert durchgemacht haben, so offen sind für das, was sich in diesem ,Lear' ereignet. Darum haben wir auch den ,König' im Titel weggelassen. Lear kann für jeden stehen."

Aber es kann gewiss nicht jeder die exorbitant schwierige Titelpartie singen. Reimann hat die Rolle des Lear Dietrich Fischer-Dieskau auf den Leib geschneidert. Dessen Stimme und sängerische Möglichkeiten kannte der erfahrene Liedbegleiter Reimann, der jahrzehntelang mit Fischer-Dieskau zusammengearbeitet hat, wie kein Zweiter. Wer sich heute an die Partie des Lear wagt, muss sich an diesem Maßstab messen lassen.

Der dänische Bariton Bo Skovhus, so viel kann man wohl aus vergangenen Erfolgen für die Zukunft vorhersagen, ist eine Idealbesetzung. Mit seinem Wozzeck hatte Skovhus schon 1998 in Hamburg die ideale Visitenkarte für die Darstellung großer Dulder auf der Opernbühne abgegeben. Aber auch als Don Giovanni oder Mandryka hat Skovhus an der Dammtorstraße geglänzt. Als Simone Young eine erste Erkundungstour in die Welt der deutschen Spätexpressionisten unternahm und 2007 Reimanns "Elegie" und Hartmanns "Gesangsszene" aufs Programm der Philharmonischen Konzerte setzte, lud sie sich Skovhus als Solisten dazu.

Auch die Regisseurin Karoline Gruber ist für das Staatsopernpublikum keine Unbekannte. Sie hatte hier schon 2003 Monteverdis "Poppea", 2004 Verdis "Nabucco" und zuletzt 2005 einen ziemlich punkigen "Giulio Cesare" auf die Staatsopernbühne gebracht.

Generalmusikdirektorin Simone Young bleibt sich treu, was ihre Vorliebe für Neutöner mit starken Wurzeln in der Tradition angeht. Aribert Reimann ist der Großmeister der Literaturoper: Texte von Kafka, García Lorca, Strindberg oder Euripides hat er schon vertont, dieser große Melomane unter den Modernen. Sohn eines Kirchenmusikers und einer Sängerin, begleitete er schon mit zwölf Jahren die Schüler seiner Mutter am Klavier. Später wurde er einer der großen Liedbegleiter des 20. Jahrhunderts. Klassische Texte und die ihnen zugrunde liegenden menschlichen Leidenschaften in Klang zu verwandeln ist Reimanns Leben.

Lear 15.1.12, 18.00 (Premiere), 18., 21., 24., 27. und 30.1. sowie 3.2.12, jeweils 19.30, Staatsoper. Karten unter T. 35 68 68