Die Geigerin Midori geht ihren künstlerischen Weg unbeirrt, wie sie es für richtig hält. Das ist zu hören. Heute Abend in der Laeiszhalle.

Hamburg. Einssein mit dem Instrument, das klingt wie ein Begriff aus der musikalischen Wellness-Ecke. Um Flow geht es da, um Hingabe und ähnlich erfreuliche und auch etwas wohlfeile Dinge. Aber wenn jemand dieses Einssein glaubwürdig verkörpert, dann die japanische Geigerin Midori. Selbst bei den halsbrecherischsten Passagen schmiegt sie förmlich die Wange an das Holz, als wollte sie ihr Ohr immer noch näher zu den F-Löchern bringen, dahin, woher bei der Geige die Töne kommen. Wie eine Skulptur von Camille Claudel sieht sie dann aus mit der kindlich gewölbten Stirn und dem Haarknoten im Nacken. Finger, Hände, Arme bewegen sich keinen Millimeter zu viel, dafür sorgt Midoris makellose Technik. Doch der übrige Körper zeigt, was sie gerade musikalisch ausdrückt. Midori geht mal in die Knie, dann schraubt sie sich himmelwärts, sodass die Füße fast abheben.

Nebensächliches hat in ihrem Spiel keinen Platz, ob sie sich in die Kantilene aus dem langsamen Satz des Hindemith-Konzerts versenkt oder im "Lebhaft" überschriebenen Schlusssatz unbeirrt von Läufen und Doppelgriffen den musikalischen Gedanken herausarbeitet.

Doch auch abseits der Bühne wirkt Midori wie die personifizierte Konzentration aufs Wesentliche. Gerade ist die Aufnahmesession mit dem NDR Sinfonieorchester zu Ende, der Tonmeister hat Fragen, die Presse wartet, aber Midori lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Erst bespricht sie noch Details mit Christoph Eschenbach, der das Konzert heute Abend in der Laeiszhalle dirigieren wird. Auf dem Programm stehen Schumanns Sinfonie Nr. 4, Hindemiths Sinfonische Metamorphosen nach Themen von Carl Maria von Weber für großes Orchester und sein Violinkonzert.

"Ich mag Hindemith sehr gern", sagt Midori, als sie im Künstlerzimmer angekommen ist. Das Ende von "Hindemith" lispelt sie - logisch eigentlich, sie spricht ja Englisch, und auch das so perfekt, wie sie Geige spielt, schließlich lebt sie seit mehr als 30 Jahren in den USA. "Hindemiths Musik ist eine wunderbare Mischung aus romantischer Schönheit und Humor."

Ihrem Gegenüber wendet sie sich mit einer Aufmerksamkeit zu, als gäbe es nach diesem Probenvormittag nichts Wichtigeres als ein Interview. Klar, dass sie nicht auf das abgeschabte rote Sofa gesunken ist: Midori sitzt auf dem Klavierhocker, die Füße baumeln hoch überm Boden und so virtuos ineinander verknotet, dass ihre Besitzerin in ihrem geblümten, wadenlangen Rock einen Moment lang wie ein kleines Mädchen wirkt.

Aus der Nähe zeigen sich in ihrem Gesicht dann doch Lebensspuren, die Midoris 41 Jahre verraten. Ihr wird es recht sein, sie ist lange genug als Wunderkind gehandelt worden: 1971 in Osaka geboren, bekam sie als Dreijährige ersten Geigenunterricht bei ihrer Mutter. Mit gerade mal elf Jahren debütierte sie beim New York Philharmonic Orchestra. Familiäre Spannungen und später die Scheidung der Eltern konnten ihre Weltkarriere nicht aufhalten. Perfektionismus wurde ihr zur zweiten Haut. Erst als Erwachsene brach sie unter dem Leistungsdruck zusammen, sagte Konzerte ab und brachte Monate in der Psychiatrie zu. In ihrer Autobiografie "Einfach Midori", die kürzlich in zweiter Auflage erschienen ist, berichtet sie von Depressionen, Tabletten- und Magersucht. Eine Offenheit, mit der sie die üblichen Erwartungen an Namedropping und Glamour nicht gerade bediente. "Ich hätte mir nicht vorstellen können, ein Buch zu schreiben, in dem ich nicht ehrlich bin", sagt Midori. Sorge, von der Öffentlichkeit dauerhaft das Etikett "ex-magersüchtige Geigerin" verpasst zu bekommen, hat sie nicht: "Es gehört doch zu meinem Leben. Wenn die Leute durch die Lektüre genauer hinsehen, kann ich ihnen näherkommen."

Und daran ist ihr offenkundig gelegen. Midori ist als Geigerin eine Klasse für sich, aber sie verkriecht sich nicht im Elfenbeinturm. Sie fördert zahlreiche pädagogische Initiativen, etwa durch ihre Organisation "Music Sharing". Ihre Professur an der Thornton School of Music an der University of Southern California - sie ist die Nachfolgerin des Jahrhundertgeigers Jascha Heifetz - versieht sie mit spürbarer Freude: "Die Studenten erden mich", erzählt sie, "es gibt mir viel Energie, mit ihnen zu arbeiten. Sie geben mir oft neue Anregungen, weil sie einen frischen Blick auf die Dinge haben."

In ihren Meisterkursen geht sie bei den Teilnehmern ans Eingemachte - in fachlicher Hinsicht. Doch an der Wärme in ihrer Stimme, an den klugen Formulierungen hört man, wie sensibel sie sich in die jungen Leute hineinversetzt.

Noch am Sonnabend wird sie wieder ins Institut gehen, gleich vom Flughafen aus. "Ich lebe eigentlich dort", sagt sie, "zu Hause schlafe ich nur."

Pausen braucht sie offenbar kaum. Aus dem kleinen Künstlerzimmer ist sie nach einem freundlichen Händeschütteln schon wieder verschwunden. Der Tonmeister wartet.

Midori spielt Hindemith Fr 26. Oktober, 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz.

Karten zu 12,50 bis 52,10 unter T. 0180/178 79 80