Das Abendblatt begleitet die Hamburger von Tonbandgerät auf ihrem Weg in die Popwelt. Heute: Im Studio im schwäbischen Idyll.

Unterensingen. Ole Specht zieht die großen Kopfhörer über die Ohren. Im Aufnahmeraum liegt ein süßlicher Geruch, wie ihn nur Holzfußböden ausströmen. Der 24-Jährige lässt seinen Blick kurz schweifen. Auf einem kleinen roten Teppich liegen Schellenkranzhalbmonde. Und all die Gitarren, Bässe, Boxen, Pulte und Effektgeräte, das Schlagzeug und die Kabel um ihn herum bilden ein musikalisches Nest. Eine künstlerische Brutstation, in der vor allem eines wichtig ist: Geborgenheit. Denn an diesem Ort in einer kleinen Gemeinde bei Stuttgart wird der Sound geschaffen, mit dem Ole und seine Band Tonbandgerät bald jeden Hörer ganz persönlich erreichen möchten.

Viel hat das junge Hamburger Pop-Quartett live gespielt in diesem Jahr. Beim Reeperbahn-Festival verzückten Isa Poppensieker (Bass), ihre Schwester Sophia (Gitarre), Jakob Sudau (Schlagzeug) und Ole (Gesang) Musikexperten und Kieztouristen gleichermaßen vor dem N-Joy-Bus am Spielbudenplatz. Beim New Music Award in Berlin überzeugten sie die Jury mit ihrer Performance und gewannen den ersten Platz. In Kürze dreht die Band mit Ina Müller im Schellfischposten für die NDR-Show "Inas Nacht". Und das Konzert von Tonbandgerät im Knust im November ist ausverkauft, während neue Termine im März 2013 im Uebel & Gefährlich und im Juli beim Deichbrand-Festival bereits feststehen.

Live haben sich die vier Freunde eine ansehnliche Fangemeinde erspielt. Und die Anhänger verlangen zunehmend nach Songs für die heimische Anlage oder das Abspielgerät unterwegs. Nach Liedern, die nicht im Konzertsaal verhallen, sondern die zum Begleiter werden, zum ständig abrufbaren Herzensmotivator und Seelentröster, die zum Tanzen und Träumen einladen.

Aber die erste Platte, die für das Frühjahr geplant ist, wie soll sie klingen? Mit mehreren Produzenten hatten die Musiker Testsessions gemacht und sich schließlich für Frank Pilsl und Udo Rinklin entschieden, die bereits mit Künstlern wie Philipp Poisel und Die Happy gearbeitet haben. Doch wann ist der Moment gekommen, an dem jede Zeile, jeder Akkord so gut ist, dass die Band den Song hundertprozentig mag. Dass die Fans ihn immer wieder abspielen und doch noch Neues entdecken können. Ganz so, wie es im ersten Tonbandgerät-Hit heißt: "Ich spul alles zurück/ spul alles auf Anfang/ es ist alles wieder da/ nur irgendwie anders."

Ole richtet seinen Blick in eine unbestimmte Ferne, positioniert sich vor dem Mikrofon und hebt an: "Auf drei auf zwei auf uns/ fliegt uns das Leben um die Ohren." Ein Vers, den er an diesem Tag noch häufig singen wird. Mal eine Oktave tiefer, mal mit leicht abgewandelter Melodie. Oftmals fließen die Songs gut bei der Aufnahme. Doch mitunter ist es auch ein Herantasten, ein Ausprobieren. Offen muss man dafür sein, vor allem aber geduldig. Und dafür ist Produzent Pilsl zuständig.

"Komm doch mal rüber, ohne die Scheibe zwischen uns können wir besser kommunizieren", sagt er zu Ole über die Sprechtaste im angrenzenden Regieraum. Sein schwäbischer Dialekt ist unüberhörbar. Gemeinsam mit der Band und seinem Kompagnon Udo Rinklin, 42, hört sich der 47-Jährige die neue Variante des Refrains an. Ein goldener Buddha hängt an der Wand. Und eine goldene Schallplatte für Philipp Poisels Album "Bis nach Toulouse".

Jetzt sitzt Pilsl an Mischpult und Rechner, lauscht, legt den schmalen Kopf schräg, fährt mit der Hand über seinen grauen Dreitagebart, fingert ein Fisherman aus der Tüte, lutscht, lauscht noch einmal und sagt schließlich: "Das ist wichtig, dass der Refrain stark ist. Mit Vehemenz." Isa wiederum meint: "Ich find's schwierig, weil ich mich so an die alte Version des Songs gewöhnt habe."

Ihr Debüt aufzunehmen ist für Tonbandgerät ein stetes Liebgewinnen und Abschiednehmen. Rund 20 Songs haben sie bisher aufgenommen, doch nur zwölf passen auf die Platte. Hinzu kommen Spezialeditionen für iTunes und Facebook.

"Jedes Mal, wenn ich unsere ganz neuen Lieder im Ohr habe, denke ich: Die müssen auf jeden Fall aufs Album", sagt Ole aufgekratzt. Und fügt fast ein wenig sorgenvoll hinzu: "Ich mag gar nicht an die Auslese denken." Doch zuvor wollen alle Instrumente eingespielt, will jedes Wort eingesungen sein. Pilsl und Rinklin möchten weiter am Refrain feilen. Also trabt Ole zurück in den Aufnahmeraum. Und singt. Und singt. Und singt. "Auf drei auf zwei auf uns."

"Mach mal 'ne Pause", rät Pilsl nach einer Weile über die Sprechtaste, "jetzt macht gerade deine Stimme etwas schlapp." Die Stimme ist das Instrument, das sich nicht so schnell reparieren lässt wie Sophias Gitarre oder Jakobs Drums. Deshalb lebt die ganze Band in den Studiowochen antialkoholisch. Aus Solidarität. Als Schonprogramm für Ole. Von wegen also Sex, Drugs and Rock 'n' Roll. Vor allem nicht im Ort Unterensingen. Der Bus der Band parkt schräg gegenüber der "Sport- und Festhalle" des Dorfes. Vor dem beigefarbenen Haus, in dessen erster Etage das Studio liegt, steht ein Jägerzaun, der Nachbar stutzt die Hecke, im Flur hängt ein Schild für die Kehrwoche. Während andere Produzenten bis tief in die Nacht tüfteln, hat Pilsl feste Arbeitszeiten von 10 bis 20 Uhr. Eine Atmosphäre, die weit entfernt ist vom rauen Charme des Bunkers, in dem die Band sonst in Hamburg-Hamm probt und die Stücke vorbereitet, die sie dann mit ins Studio bringt. So wie "Auf drei".

Ole probiert's erneut mit dem Refrain. Und singt noch einmal. Wo andere längst genervt wären, bleibt er bestens gelaunt. "Ich mag das, wenn das so was Mantramäßiges bekommt", sagt Ole und lächelt. Verdient. "Hat er's?", fragt Pilsl seinen Kollegen. Und Rinklin antwortet: "Tipptopp!" Eine kleine Melodie für das erste große Werk.

Tonbandgerät live: 8.3.2013, Uebel & Gefährlich; Bandwebsite: www.musikvomband.de

Alle bisherigen Teile der Abendblatt-Serie zu Tonbandgerät unter www.abendblatt.de/tonbandgeraet