Die Staatsopern-Rücklagen sind durch Tariferhöhungen bedroht

Hamburg. Das Timing könnte kaum unschöner sein für Kultursenatorin Barbara Kisseler. Pünktlich zum Staatsopern-Saisonstart mit Opern- und Ballettpremiere an diesem Wochenende meldet sich ein Struktur-Dilemma zurück, das man in Zeiten von Haushaltsberatungen, der x-ten Museumsreform und der Suche nach Nachfolgern für Simone Young überhaupt nicht gebrauchen kann: Das Problem der Tarifkostensteigerungen ist für die Staatsoper dramatisch ungeklärt. Sollte dieser Posten im Haushalt des dritten Hamburger Staatstheaters unverändert bleiben, so die hausinternen Prognosen, würde die Amtszeit des neuen Generalmusikdirektors und des neuen Intendanten 2015 mit aufgebrauchten Rücklagen und einem Minus von rund 800 000 Euro beginnen.

Ursache des Problems: Die Stadt übernimmt nur noch Tarifsteigerungen von bis zu 1,5 Prozent; bei höheren Abschlüssen müssen die Häuser selbst sehen, woher sie das Geld nehmen. Erstes Opfer ist meist der künstlerische Bereich. Aufgrund des komplizierten Tarifgeflechts muss die Staatsoper in der Tarifrunde 2012 eine Steigerung von 6,3 Prozent verkraften. "Ein hoher Tarifabschluss!", findet Detlef Meierjohann, Geschäftsführender Direktor, dessen Vertrag bis 2017 läuft, weit in die Nach-Young-Zeit. "Die Politik, die diese Abschlüsse ja mitverhandelt, sieht derartige Abschlüsse als angemessen und gerechtfertigt an. Ich finde es in höchstem Maße problematisch, wenn im gleichen Atemzug erklärt wird, dass man nicht bereit oder in der Lage sei, die Mittel hierfür aufzubringen."

Ab 2014 hat Meierjohann eine Tarifvorsorge von jährlich zwei Prozent als Schätzung eingerechnet, doch das wird seiner Meinung nach nicht reichen. "Die Staatsoper muss inklusive des Tarifabschlusses 2012 mit Personalkostensteigerungen für die nächsten drei Spielzeiten von rund 12,1 Millionen Euro rechnen, von denen unter Berücksichtigung der derzeit bekannten Zuschüsse für die Haushaltsjahre 2013 und 2014 etwa 8,3 Millionen Euro abgedeckt sind." Bei den Einnahmen und dem Kostendeckungsgrad kann das Haus sich im bundesweiten Vergleich sehen lassen. Aber die Rücklagen, die durch Haushalte mit immer spitzerem Rotstift und Einnahmeüberschüsse unter anderem durch Gastspiele in den letzten sieben Jahren gebildet werden konnten, betragen derzeit drei Millionen Euro. 800 000 Euro zu wenig, um 2015 schwarze Zahlen zu sehen.

Miese als Mitgift für die Neuen in der Chefetage? Ideale Startbedingungen sähen anders aus. Erst recht, weil genau dann angeblich auch der Bau der Elbphilharmonie vollendet sein soll, in dem die NDR-Sinfoniker unter dem populären Charmebolzen Thomas Hengelbrock jahrelang als Residenz-Orchester tonangebend sein dürfen und nicht die städtischen Philharmoniker. Kein Wunder also, dass sich die Verhandlungen mit Kandidaten wie Kent Nagano (trotz diverser Lancierversuche) nach wie vor ziehen. Wer rennt unter solchen Umständen schon gern sehenden Auges ins Bilanzunglück.

Es ist gut möglich, dass das Worst-Case-Szenario nicht eintritt, wahrscheinlicher ist, dass bis dahin Einnahmeüberschüsse die Höhe des Defizits teilweise verringern. Aber solche Hoffnungen lassen sich nicht seriös in die Budgetplanungen eines großen Opernhauses einbeziehen, das sich an vielen Stellen bereits wundgespart hat.

Das dritte Hamburger Staatstheater ist das letzte, bei dem noch keine Lösung für das chronische Problem der Tarifmehrkosten gefunden wurde. Karin Beier, ab 2013 Chefin im frisch renovierten Schauspielhaus, wurde beim Postenpoker zugesagt, dass kommende Erhöhungen ausgeglichen werden - sogar rückwirkend bis 2008. Anschließend spielte Thalia-Intendant Joachim Lux diese Karte bei seinen Verlängerungsverhandlungen ein zweites Mal clever aus. Auch er bekam, was er wollte. Seine Tarifprobleme sollen gelöst werden, der Abstand bei den Subventionen zwischen Schauspielhaus und Thalia sollen nicht größer werden. Was wohl heißt: Bekommt das Schauspielhaus mehr, erhält auch das Thalia entsprechend mehr. Dadurch verschärft sich die Situation der Staatsoper. Aber dort gibt es derzeit niemanden, der sich in diesen Wochen der Weichenstellungen starkmachen kann. Doppel-Chefin Simone Young geht 2015, sie könnte noch nicht mal mit Rücktritt drohen.

Noch formuliert Meierjohann sein Dilemma diplomatisch: "Ich hoffe, dass sich im Zuge der Haushaltsberatungen die Erkenntnis durchsetzt, dass die Staatsoper diese Mehrbelastungen nicht aus eigener Kraft finanzieren kann." Die Kulturpolitik ist jetzt am Zug. Ob sie möchte oder nicht.