Ob Schmonzette, Reiseführer, Krimi oder Liebeserklärung: Bei diesen maritimen Titel wird jeder Nord- und Ostseeliebhaber fündig.
Die Herzen werden so weit wie der Horizont, der entweder herausfordernd und gleißend ganz hinten abhängt, da, wo das Auge gerade noch hinreicht, oder hochdramatisch und rot leuchtend den Tag im Meer versinken lässt. Die Herzen schlagen höher, wenn der Wind über den Deich fährt. Ach, was soll’s: wenn der Wind über den Deich prügelt. So richtig rau und schneidend. Damit gleich klar wird: Hier ist nicht Malle, hier ist der Norden der Welt. Alles andere ist pillepalle.
Was, das kennen Sie nicht? Nordseeromantik und Ostseefolklore? Dann waren Sie entweder noch nie da. Oder Sie sind unempfänglich für die Reize der Gegenden, in denen Land auf Wasser trifft. Und Sie kennen dann sicher auch nicht das sich allergrößter Beliebtheit erfreuende Genre des Insel- und Küstenromans. Das wurde für die erfunden, die von Dünen, Strandkörben, Sonne in Maßen und Wattwürmern oder Strandmuscheln satt nicht genug bekommen können. Die locker und luftig geschriebenen Unterhaltungsromane werden auch gerne in Form von E-Books gelesen.
Buchtipps für den Urlaub
Sind praktisch am Strand, und außerdem, Hand aufs Inselherz: Wer hält diese Instant-Aufbrühungen meist rühriger Familien-Plots tatsächlich für aufbewahrenswert? Gelesen, vergessen. Aber zwischendrin gibt’s die Leichtigkeit des Sommerfrischeseins. Wir halten es übrigens mit der Devise „Wenn schon, denn schon“: Echte Bücher zum Anfassen lohnen sich nirgends so sehr wie hier, der (un)vergleichlichen Cover wegen.
Dem konsequenten Ranschreiben ans Zielpublikum (Produktenttäuschungen gibt es hier nicht) assistieren die Schlüsselreize auf den Buchumschlägen. Praktisch auf jedem ist ein Leuchtturm zu sehen. Küsten-Klischees olé! Behelfen wir uns an dieser Stelle, zur dann auch schon beinah erledigten Durchdringung des Themas, mit einer Auflistung derzeit gängiger Insel-Schmöker.
Insel-Schmöker für Sommer-Leichtigkeit
Sie heißen so: „Leuchtturmliebe (Liebe auf Norderney, 1)“. „Fischbrötchen und Zuckerstreusel: Ein Ostseeroman/Fördeliebe 1“. „Fischbrötchen und Salzkaramell: Ein Ostseeroman/Fördeliebe 2“. „Ein Jahr Inselglück. Romantischer Urlaubsroman (Amrum 1)“. „Sommerküsse auf Fehmarn“. „Das Haus auf Föhr. Inselroman“. „Dünentraumsommer“. „Sylter Rosen. Ein Nordsee-Inselroman“. Die Liste ist beliebig fortsetzbar. Bücher, die Sehnsucht wecken nach dem Herben und gleichzeitig Lieblichen, wie es so nur auf jenen Sandhaufen an Nord- und Ostsee anzutreffen ist. Bei Süd-, bei Norddeutschen. Tourismus-Ankurbler in literarischen Niedrigwassern.
Oliver Lück schreibt in seinem Buch „Der Strandsammler“ spöttisch, dass „das Norddeutsche“ irgendwann „irre populär“ geworden sei. Er meint damit die Aussprache des Norddeutschen, die sich auch Zugewanderte und Urlaubende so gerne draufschaffen, zum einen in der eitlen Überzeugung, sie könnten dann Norddeutsch (das ist die Sprache, in der beispielsweise das A in Richtung O gezogen wird), zum anderen im Glauben, sie seien nun auch ein wenig nordisch geeicht.
Vom Reiseführer bis zur literarischen Liebeserklärung
Also, wer etwas über das Nordische erfahren möchte, wer den Norden einatmen will, der kann nun tatsächlich zum Buch greifen. Durchaus auch zur, siehe oben, Inselschmonzette. Aber auch zu formal reizvolleren Titeln, zum Beispiel dem genannten von Oliver Lück. Das Abendblatt stellt auf dieser Seite Bücher für die Insel vor, jetzt mal ganz wörtlich genommen; ein Potpourri maritimer Lektürestoffe, vom Reiseführer über die Familiensaga bis zur literarischen Liebeserklärung.
Regula Venske: „Mein Langeoog“
Küsten-Köder: „Doch obwohl sie die unterschiedlichsten Strände auf der Welt erkundet hat, fühlt sie sich nur an den Küsten des Atlantiks daheim: ausgelöst durch Langeoog, die Insel ihrer Kindheit.“
Inhalt: Im Mare-Verlag erscheinen Liebeserklärungen an maritime Hotspots. Die neueste stammt von Regula Venske. Ihre Insel Langeoog ist ein ostfriesischer Ort, wie er typischer nicht sein könnte: Niemals wäre hier ein Sommerurlaub planbar wie etwa in balearischen Gefilden. Wer weiß schon, wie viel Sonnencreme man wirklich einpacken muss! Venske, Jahrgang 1955, beschreibt mit immer wieder glänzenden Formulierungen ihre lebenslang innige Beziehung zu Langeoog, seit sie als Dreijährige erstmals mit ihrer Familie aus Westfalen an die Küste reiste. Ihr Text ist eine behutsame, aber auch fröhliche Suchbewegung. Sommerfrische, Dünensingen, Lili Marleen, die sogenannte Inselkrankheit (hat was mit suboptimaler Verdauung zu tun), das Meeresleuchten (auf Juist), die tägliche Tafel, auf der alles stand, Badezeiten, Luftdruck und Wassertemperatur, als Essenz des Insellebens, die Angst vor dem Meer, dem „blöden Iih“: Alles wird angeschwemmt an den Gestaden der Erinnerung.
Ein Satz: „Ich bin die Frau, die in einer Hängematte am Südseestrand von der frischen Brise an der Nordsee träumt.“
Noch ein paar Sätze: „Wie langweilig im Grunde das alles. Wie wunderbar. Eine kleine Geborgenheit. Alles war genau so, wie es sein musste.“
Windstärke: 5
Was sagen die Gezeiten? Hochwasser
Sonnenstunden: 12
Regine Kölpin: „Der Nordseehof. Bd. 3: Als wir den Himmel erobern konnten“
Küsten-Köder: „Sie brauchte die Weite und Einsamkeit der ostfriesischen Landschaft.“
Inhalt: Drei Generationen, drei starke Frauen: Johanna, Adda, Feemke. Verwurzelt im Norden der Welt. Dort, wo immer ein Leuchtturm den Weg weist. Trotzdem stellt sich die Frage: Bleiben oder gehen? Weibliche Selbstermächtigung gibt’s gerade dort, wo Stürme aufziehen, wo auf Ebbe immer die Flut kommt und nach Regen Sonnenschein.
Ein Dialog: „Und meine Mutter war auch eine starke Frau. So sind wir nämlich, wir Frauen vom Nordseehof.“ „Bin ich auch eine Frau vom Nordseehof?“ „Wenn du magst, immer.“
Ein Satz: „Der Herbst war einzigartig schön, wenn er Ostfriesland noch nicht ganz mit seinem Nebel verschluckt hatte, sondern sich wie heute farbenfroh präsentierte.“
Eine Beobachtung: Es wird zu viel gelabert. Oder sind tatsächlich nur Männer nordisch maulfaul?
Windstärke: 3
Was sagen die Gezeiten? Niedrigwasser
Sonnenstunden: 3
Emmi Johannsen:„Mordseestrand. Ein Borkum-Krimi“
Küsten-Köder: „Leichenschmaus für eine Möwe“
Inhalt: Zwei Ermittler – Caro Falk und Jan Akkermann – sind erneut auf der Suche nach einem, na was? Genau: Mörder. Morden im Norden und so, der Slogan ist zwar kein Gütesiegel (oder wenn, dann nur ganz oben, in Skandinavien), aber nicht, nun ja, totzukriegen. Diesmal nicht mehr unter den Lebenden: ein umstrittener Umweltschützer, der, natürlich selbst, tja, ein paar Leichen im Keller hatte.
Küsten-Killer: Ein abgeschnittener Finger, der im Wasser zwischen den Algen schwimmt. Igittigitt. In der türkisfarbenen Südsee sähe er garantiert nicht mal so eklig aus. Aber im Grau der Nordsee? Reines Schauerstück.
Ein Satz: „Es war Ebbe, und die Möwen stürzten sich scheinbar todesmutig vom Himmel herab.“
Ein Dialog: „Du willst nicht, dass ich mitkomme?“ „Schön, dass du mich verstanden hast. Es ist ja schließlich klar, dass ich mich mit jungen, attraktiven Frauen besser unterhalten kann als du.“ „Warum?“ „Weil du stutenbissig bist.“
Eine Beobachtung: Auch hier wird eigentlich entschieden zu viel gelabert. Büschn mehr Klischee, bidde!
Windstärke: 2
Was sagen die Gezeiten? Niedrigwasser
Sonnenstunden: 2
Birgit Haustedt: „Sylt – Lieblingsorte“
Küsten-Köder: „Entdecken Sie das Lebensgefühl einer Insel“
Inhalt: Ein ganz klassischer Reiseführer. Nehmen wir hier mit auf die Lektüreliste, weil: Sylt. Die Lieblingsinsel aller Deutschen, wenn nicht sogar aller Hamburger. Um mal den größten aller Maßstäbe zu nehmen. Westerland, das unbeliebte Zentrum (oder der Ort, wo halt der Bahnhof liegt), das Rote Kliff, die Braderuper Heide, die Kampener Vogelkoje, die allerbesten Fischbrötchen – hier wird, mit vielen Fotos auch, die die Urlaubs-Ikone Sylt (um mal einen völlig übertriebenen Ausdruck zu prägen) ins vorteilhafte Bild setzen, eine Insel vermessen. Das Wattwandern, jene ewig irritierende und matschpampige, todesmutige Praxis des Herumlatschens auf Boden, der auf das Meer wartet, bis ebenjenes Meer zurückkehrt, darf natürlich nicht fehlen.
Ein Satz: „Flirrende Mittagshitze liegt an diesem Julitag über dem hügeligen Gelände, zartrosa schimmert die aufblühende Heide, hier und dort ragen eine Silberpappel oder eine windschiefe Kiefer heraus.“
Eine Erkenntnis: Ein Quadratmeter Watt enthält, im Durchschnitt, bis zu 40 Wattwürmer. Und 30.000 Schlickkrebse! Donnerwetter aber auch.
Windstärke: 4
Was sagen die Gezeiten? Niedrigwasser
Sonnenstunden: 7
Emma Jacobsen: „Die Inselhebamme“
Küsten-Köder: „Große Träume und eine große Liebe auf Norderney“
Inhalt: Die Trennung vom Verlobten, der Druck bei der Arbeit – die Hebamme Nela Westhues hat den Blues. Kurieren will sie sich auf Norderney, dem Ort ihrer Herkunft. Trübsal blasen bitte überall, aber nicht in der frischen Seeluft – und „tatsächlich bringen sie nicht nur die Spaziergänge im Watt schnell auf andere Gedanken“ (Klappentext). Eine ganz alte Liebe (klassischer Topos, nie totzukriegen) sowie der Plan vom Geburtshaus auf der Insel – Aufbruch zu neuen Ufern!
Ein Satz: „Der Himmel war blau, aber sie kannte ihre Insel, sie wusste, was auf Norderney allzu schnell passieren konnte, selbst im Sommer.“
Noch ein Satz: „Erst drehte der Wind auf West, dann trieben Regenwolken über den Strand, und bevor man sich’s versah, war man völlig durchnässt, aber nicht vom tröpfelnden Regen, sondern der Gischt, die der Wind über die geriffelten Sandbänke trieb.“
Eine Erkenntnis: Nordseeromane muss es schon deswegen geben, weil hier immer Wetter ist. Und Wetter ist der Metapherngeber Nummer eins. Das Wetter ist wie unser Leben: Mal scheint die Sonne, mal regnet es, mal stürmt es. Nur gegen Kitsch hilft selbst eincremen nicht.
Windstärke: 3
Was sagen die Gezeiten? Niedrigwasser
Sonnenstunden: 4
Svenja Lassen: „Meer Momente wie dieser“
Küsten-Köder: „Endlose Sandstrände, das Rauschen der Nordsee und der Duft von Salz in der Luft.“
Inhalt: Die scheue, ja, sagen wir ruhig: leicht biedere Büroangestellte Sina reist, obwohl ihre deutlich aktivere Freundin Amelie kurz vor dem gemeinsam geplanten Trip unerwartet abgesprungen ist, zum Sylt-Sommer an. Sie trifft einen Mann. Und dann noch einen. Nur einer von ihnen kann surfen. Ein Hamster, als blinder Passagier mitgekommen, ist auch noch am Start. Der Rest ist Meeresrauschen.
Zwei Sätze: „Sanft strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, und meine Haut antwortete darauf mit einem Kribbeln. Gleich würde er mich küssen.“
Eine Beobachtung: Das Cover ist ein Meisterwerk. Trumpf ist die couragierte optische Verbindung zweier einschlägiger Genres. Liegestuhl und Schilf symbolisieren den Ort der Handlung, das händchenhaltende Paar die Art der Handlung. Der glorreiche Mash-up gipfelt in der famosen farblichen Zusammenstellung: Roter Leuchtturm (Insel!) vor rosa Hintergrund (Lie-hiebe, allüberall!); eigentlich eine ästhetische Zumutung, hier, als Sylter Signalfarben-Fondant, aber pures Taschenbuch-Gold.
Windstärke: 3
Was sagen die Gezeiten? Niedrigwasser
Sonnenstunden: 5