Theaterkritik

Eine „(R)Evolution“ ohne Erkenntnis im Thalia Theater

| Lesedauer: 5 Minuten
Falk Schreiber
Ein visuelles Spektakel: „(R)Evolution“ im Thalia Theater.

Ein visuelles Spektakel: „(R)Evolution“ im Thalia Theater.

Foto: Krafft Angerer

Yael Ronen und Dimitrij Schaad werfen nur einige komische Schlaglichter auf die digitale Zukunft. Das Ergebnis ist zwiespältig.

Hamburg.  Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn ein Theatermitarbeiter vor der Vorstellung an die Rampe tritt: Meist heißt das, dass ein Schauspieler krank ist, sorry. Oder dass die Bühnenbeleuchtung ausgefallen ist, weshalb heute im Dunkeln gespielt wird, sorry. Dass allerdings Dimitrij Schaad vor dem Vorhang das Thalia-Publikum anspricht, ist Teil von „(R)Evolution“.

Schaad beschreibt die angeblichen Privatsphäre-Einstellungen des Theaters, denen man durch den Kauf einer Karte zugestimmt habe: Alle Reaktionen des Publikums würden aufgezeichnet, mit dem Ziel „in Zukunft einen noch besseren Service zu bieten“. Algorithmen würden berechnen, welche Passagen langweilen (um sie bei weiteren Aufführungen zu tilgen) und welche Gags gut ankämen (die werden dann häufiger eingesetzt), und das Programm, das dahinterstehe, heiße „Lux 3000“.

Das Publikum, das die Anspielung auf Thalia-Intendant Joachim Lux verstanden hat, lacht lauthals. Und schon ist notiert, dass Lux-Witze funktionieren. Schöne neue Algorithmen-Welt.

Transhuman – ein Wesen zwischen Mensch und Maschine

Schasds kabarettistischer Einstieg ist der Link des Abends zu Yuval Noah Hararis „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. Der israelische Historiker entwirft in seinem 2018 erschienenen populärwissenschaftlichen Bestseller eine Welt, in der Digitalisierung und Technisierung einerseits Ursache von, andererseits auch Antwort auf gesellschaftliche Verwerfungen sind. Regisseurin Yael Ronen und Co-Autor Schaad haben, inspiriert von Harari, drei Szenen entwickelt, die eine mögliche Zukunft illustrieren: Da ist der Arzt (Tim Porath), dessen Liebesleben sich immer weiter in die Virtualität verabschiedet, bis sein Mann (Schaad) sich als Transhuman outet, als Wesen zwischen Mensch und Maschine.

Da ist das Paar (André Szymanski und Birgit Stöger), das ein Kind plant und sich vom Arzt beraten lässt, wie der Nachwuchs genetisch modifiziert werden kann. Und da ist die Ex des Mannes (Marina Galic), die immer mehr vereinsamt, mit einer künstlichen Intelligenz namens Alekto als einzigem Ansprechpartner. Bis sie von Alekto an die Polizei ausgeliefert wird: Sei könne sich in ihrer Einsamkeit radikalisiert, womöglich Sympathien für die Terrorgruppe „Die Naturalisten“ entwickelt haben.

Unter Jägern und Sammlern war es so schön

Yael Ronen, am Thalia dank mehrerer Lessingtage-Gastspiele bekannt, arbeitet hier zum ersten Mal direkt für das Haus, inszeniert diese Schlaglichter mit Sinn für bühnenwirksame Drastik, mit Humor und szenischer Ökonomie: „(R)Evolution“ ist recht unterhaltsam, als Rundumschlag zwischen technisierter Sexszene, Guter-Bulle-Böser-Bulle-Verhör und einem kulturpessimistischen Monolog, in dem Szymanski den Kontrollverlust der Menschheit mit der Kultivierung des Weizens beginnen lässt.

So schön sei es gewesen, unter Jägern und Sammlern, aber wegen des Weizens sei der Mensch sesshaft geworden und habe seine Bestimmung aus dem Blick verloren. „Der Weizen hat mit uns gemacht, was wir mit den Wölfen gemacht haben, als wir sie in Pudel verwandelt haben“, ist ein Satz, der funktioniert, wenn ein Komödiant wie Szymanski ihn spricht. Er ist indes bedeutungslos, er versteckt Inhalt hinter alles nivellierender Ironie.

Das lässt „(R)Evolution“ nach einer Weile leerlaufen, irgendwo zwischen darstellerischer Virtuosität und komödiantischer Brillanz. Man weiß nicht, wo diese Inszenierung steht und rettet sich in ein halbernstes „Früher war alles besser“: Schon schlimm, wie die Algorithmen unseren Alltag bestimmen! Dass solch ein rückwärtsgewandter Blick nicht die Lösung sein kann, steht zwar bei Harari. Doch die Inszenierung ignoriert diese Vielschichtigkeit, sie macht ein paar naheliegende (und nichtsdestotrotz gute) Witze, sie entwirft eine autoritäre Gesellschaftsordnung und findet aufwendige Bühnenlösungen, die in seltsamem Widerspruch stehen zum Stück.

Hinter der schwebenden Bühne flimmern Videos

Wolfgang Menardi hat eine riesige, schwebende Bühne gebaut, hinter der Videos (Stefano Di Buduo) flimmern, Yaniv Fridel und Ofer (OJ) Shabi haben dafür einen Soundtrack aus Progrock und Techno komponiert. Das beeindruckt, es sorgt aber auch dafür, dass der Abend seinem Unbehagen an der technisierten Zukunft eine massive Technisierung der Bühnenmittel entgegenzusetzen hat. Was nicht zusammenpasst.

„Was wir hier zeigen, ist zu 1000 Prozent falsch“, ergänzt Schaad Hararis Zukunftsvisionen-Skepsis, nach der Science-Fiction vermutlich falsch sei, Visionen, die behaupten, die Realität abzubilden, aber mit Sicherheit falsch seien. Das ist ehrlich. Aber es ist auch der billige doppelte Boden einer Inszenierung, die atemberaubend aussieht, während ihr Erkenntnisgewinn gegen Null geht.

„(R)Evolution“ wieder Sa 7.3., 19.30, So 8.3., 15.00, Fr 27.3., 19.30, bis 17.6., Thalia Theater, Karten: T. 32 81 44 44, www.thalia-theater.de

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