Die Staatsopern-Premiere von Hans Pfitzners “Palestrina“ , dirigiert von Generalmusikdirektorin Simone Young, wurde zur Geduldsprobe.

Hamburg. Wer den schon sehr deutschen Komponisten Richard Wagner liebt, muss den noch viel fanatischer deutschen Komponisten Hans Pfitzner zumindest als Stil-Phänomen interessant finden dürfen. Biografisches und noch Problematischeres steht, bei beiden gut sichtbar, auf anderen Blättern.

Pfitzners Notenmaterial, unbestechlicher Gradmesser für dessen handwerkliches Können, ist eine Erklärung dafür, dass Generalmusikdirektorin Simone Young als bekennende Wagnerianerin von dieser Musik, die so eigenartig, epigonal und egomanisch durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts waberte, fasziniert genug war, um Pfitzners "Palestrina", einen Brocken ganz besonderer Dicke, auf ihren Hamburger Spielplan zu hieven.

Vor mehr als zwei Jahren bereits hatte diese Inszenierung Premiere in München. Nun, nachdem der hiesige "Ring" geschmiedet und überstanden ist, wird die Koproduktion an der Dammtorstraße wieder belebt. Spannender, lohnender, packender wird sie allerdings bei diesem sehr zeitversetzten Wiedersehen und -hören nicht.

Denn Christian Stückls Regie-Arbeit, auf die vier Farben Schwarz, Weiß, Textmarker-Pink und Textmarker-Grün und eine arg spartanische Zentralperspektive reduziert, bleibt mühsam, angestrengt, plakativ und oberflächlich. Und Young selbst schien durch die überlangen, melancholisch mürben Durststrecken in der Partitur nicht davor gefeit, die wuchtigen Tutti-Passagen auch mal genüsslich zu überziehen, damit endlich mehr vor ihrem Taktstock passiert als ausuferndes Grübeln über Gott und die Welt und die einzig seligmachende Weise, eine Messe obrigkeitskonform zu vertonen. Leidtragende dieser verständlichen Sünde waren dann die vielen, vielen Sänger auf der Bühne.

"Palestrina" ist ein durch und durch vergeistigtes Stück, das schon wegen seines Formats und seiner spröden Sperrigkeit weit davon entfernt ist, jemals zum Publikumsrenner zu werden. Stundenlang geht es darin um die inneren Konflikte eines Kirchenmusikkomponisten in der Spätrenaissance. Um Glaubensfragen und Machtkalkül, um Männerbünde und Visionen, um Ideen und deren Umsetzung. Die einzige Frau weit und breit, Palestrinas Gattin Lukrezia, ist tot und spukt nur noch als Erscheinung durch den ersten Akt. Keine Chance also auf Amouröses, um das klassische Opern-Klischee wenigstens mit ein bisschen Herzschmerz aufzufüllen.

Keine Chance aber auch (zumindest hier), eine Interpretation dieser Rarität zu erleben, die tatsächlich die zeitloseren Fragen und Probleme verhandeln würde, von denen durchaus einige unter der leichenblass bepuderten Oberfläche brodeln und schwären. Künstler im Spannungsfeld zwischen Wollen und Sollen gab es schließlich zu allen Zeiten - und auch in vielen Diktaturen.

Gäbe es an der Dammtorstraße eine stringentere Dramaturgie als das Beliebigkeits-Prinzip des bunten Tellers, hätte man mit diesem Stück an Hindemiths Künstler-Oper "Mathis der Maler" anknüpfen können, mit dem Young ihre Ära 2005 so ehrgeizig begann. So bleibt die Absicht, falls es sie noch gab, nur verjährtes Stückwerk. Doch Stückl, bekannt durch seine Arbeit für die Oberammergauer Passionsspiele und den thematisch benachbarten Salzburger "Jedermann", ist an solchem Überbau offenkundig auch gar nicht interessiert gewesen. Er baute dem Stück einen Altar. Dort wird nicht hinterfragt und nicht gezweifelt, dort wird gezeigt, was ist, wie es ist, weil es nur so sein darf.

Der erste, ohnehin schon nicht enden wollende Akt, in dem Katerina Tretyakova als Palestrinas Sohn Ighino immerhin ein wirklich apartes Glanzlichtlein setzt, wird durch Stückls Regie-Verweigerung noch zäher, weil Stückl Ighino fast zwei Stunden lang wie ein Heiligenbildchen stocksteif hinstellt und auch noch eine Ladung Komponisten-Zombies mitsamt Trockeneis-Nebel hineinstreut.

Im zweiten Akt fällt Stückl zu den keifenden Klerikern beim Konzil von Trient, die sich am Ende à la "Meistersinger" kurz zur Fugenbegleitung prügeln dürfen, nichts anderes ein, als keifende Kleriker in einem Wimmelbild zu zeigen. Im Finale fährt der Papst vor, zeigt sich als dröhnender Wasserkopf und regelt den Rest. Und dann orgelt es, matt verklingend, ein letztes Mal, bevor der Vorhang fällt, nicht nur Palestrina von seinem Leiden erlöst und die vielen Fragen offen bleiben.

Gibt es dennoch Lohnendes? Durchaus: Roberto Saccàs Leistung ist beachtlich, seine Kondition hält im Bereich des Lyrischen, was die Titelrolle dort von ihm fordert. Falk Struckmann, Youngs Hamburger Wotan, gibt einen sehr schön fiesen Kardinal Morone ab, ohne allzu sehr ins überzogene Dröhnen zu geraten. Die meisten der anderen drei Dutzend Solisten halten wacker mit, soweit man das als Stereotyp bewältigen kann. Und auch die Philharmoniker fanden viel Gefallen an ihrer Mammut-Aufgabe.

Im Laufe des sehr langen, sehr warmen Abends leerten sich die vorderen Parkettreihen mit jeder Pause mehr. Doch am Ende gab es unwidersprochenen Applaus für alle und jeden, von der Hausherrin über die Solisten-Massen bis zum Inszenierungsteam. Manchmal werden Gebete erhört.