Auf der Suche nach neuen Finanzierungswegen nutzen Kino-Regisseure vermehrt Crowdfunding . Soll heißen: Fans produzieren den Film.

Hamburg. Florian Eichinger ist kein Anfänger mehr, und ein 0815-Regisseur ist er auch nicht gerade. Sein Kinodebüt "Bergfest", das so packende wie düstere Psychogramm eines Vater-Sohn-Konflikts in der Tradition Ingmar Bergmans, wurde auf zahlreichen Filmfesten gezeigt und in Houston und Falstaff prämiert. Nun ist der zweite Film des 40-jährigen Hamburgers in der Planung, die Privatschatulle leer, die Filmförderinstitutionen erfolgreich angezapft, und doch reicht es nicht. Es fehlen 30 000 Euro, um "Nordstrand" zu realisieren, den zweiten Teil von Eichingers Trilogie über familiäre Gewalt.

Warum nicht die Fans unseres ersten Films fragen? Sagten sich Eichinger und Koproduzent Cord Lappe; seit einigen Tagen nun wenden sie sich im Internet an mögliche Finanziers, genauer gesagt: an uns alle, "und wenn es nur 5 Euro sind", wie auf der Homepage Nordstrandfilm.de zu lesen ist.

Eichinger & Co. sind nicht allein. Crowdfunding, so heißt das neue Finanzierungsmodell aus den USA, findet auch unter hiesigen Film- und Kulturschaffenden vermehrt Anhänger. Unter hotel-desire.com können Freunde künstlerisch wertvoller Pornografie den geplanten PorNeo-Film des Berliners Sergej Moya unterstützen, mit namhaften Schauspielern wie Clemens Schick und Anna Maria Mühe, 170 000 Euro werden gebraucht, rund 86 000 kamen bereits zusammen. Und der passionierte Indie-Regisseur Jan Georg Schütte wirbt auf diegluecklichen.de um jeden Cent für "Leg ihn um!", sein jüngstes Projekt über einen todkranken Unternehmens-Patriarchen, der einem seiner vier Kinder die eigene Firma vermachen will - aber nur demjenigen, dem es gelingt, ihn innerhalb einer Woche ins Jenseits zu befördern.

Allen Projekten gemein ist: Sie sind nicht für ein Millionenpublikum gedacht, formal und/oder thematisch eher eigenwillig und in den zuständigen Fördergremien auch deshalb nur schwer vermittelbar. Für sie sind Sammelplattformen im Internet nicht zuletzt eine Chance, die Regeln des Mainstreams auszutricksen - originellerweise mit den Mitteln des Publikums.

Ihre Funding-Aktivität wirft auch ein neues Licht auf die Strukturen der Filmindustrie. Rund 200 Millionen Euro pro Jahr schüttet die deutsche Filmförderung, vertreten durch die Filmförderungsanstalt sowie einzelne Fördergremien der Länder, an Finanzhilfen für das deutsche Kino aus. Über die Frage, wie gerecht und fair die Vergabekriterien sind, wird seit jeher erbittert gestritten. Vor allem die randständigeren unter den hiesigen Regisseuren beklagen, die Gremien unterstützten vor allem Mainstream-Stoffe mit Stars und möglichst messbaren Erfolgsaussichten am Markt; ein Branchen-Haudegen wie Klaus Lemke ("Rocker"), der seit rund zwei Jahrzehnten keine Förderung mehr beantragt, meint, Geld vom Staat sei "immer ein Tritt gegen die eigene Kreativität". Der Dokumentarfilmer Thomas Frickel beklagt vor allem den Versuch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, "die Filmkultur nach seinem Geschmack zurechtzubiegen".

Der Einfluss der Sender in den Förderanstalten ist in der Tat beträchtlich, das Interesse, möglichst die Realisierung von Filmen voranzutreiben, die auch im eigenen Programm laufen könnten, naheliegend. Die Hamburgerin Elke Brand, deren Medienagentur Scripts for Sale Drehbücher vermarktet, diagnostiziert denn auch eine "Fernsehformatierung der Kinofilme". "Tatsache ist, dass in Film wie Fernsehen immer wieder alte Formate bedient werden. Da ist es schwierig, in neue Fahrwasser zu kommen." Zumal wenn eine jüngst hochgejubelte TV-Serie wie Dominik Grafs "Im Angesicht des Verbrechens" die Produktionsfirma (Typhoon AG) in die Insolvenz treibt.

Von Etats der Kategorie Dominik Graf oder erst recht Michael "Bully" Herbig - dessen Millionenseller "Der Schuh des Manitu" übrigens von der Filmförderung aufgrund zu geringer Erfolgsaussichten keinen Cent sah - können die meisten Bewerber der Crowdfunding-Szene nur träumen. Auf entsprechenden Online-Seiten wie "Inkubato" werden selten mehr als 50 000 Euro aufgerufen, bei selten mehr als fünfstelligen Gesamtetats. Very low Budget also. Die Projekte gehen quer durch die Kulturgenres; auf deutschsprachigen Plattformen wie inkubato.com, pling.de, visionbakery.de oder startnext.de wird mal ein Dokumentarfilm zur Mitfinanzierung angeboten, mal ein Hörspiel, mal die Rekonstruktion einer Art-déco-Fassade.

Aus Sicht der Inserenten liegen die Vorteile der Crowdfunding-Idee auf der Hand: "Wir werden unabhängiger von den großen Gremien, auch was den Inhalt unserer Filme angeht, und darüberhinaus sprechen wir potenzielle Kinogänger an, lange bevor sie den Film zu sehen bekommen. Wir machen so unseren Film auch zu ihrem", sagt Regisseur Florian Eichinger. Das Publikum als Finanzier und Multiplikator zugleich - um das zu erreichen, werben die Film-Crowdfunder mit den perfidesten Anreizen. Wer zum Beispiel für Eichingers "Nordstrand" 2000 Euro oder mehr spendet, erhält eine "tragende Komparsenrolle", eine Premiereneinladung, ein handsigniertes Drehbuch sowie eine Namensnennung im Abspann; für 25 Euro oder mehr gibt's immerhin ein "Nordstrand"-Feuerzeug. Unterschiedlich sind die Strategien, falls das gesammelte Geld nicht ausreicht und der Film nicht zustande kommt: Während etwa "Hotel Desire" die Spenden dann dem Filmnachwuchspreis "First Steps" zugutekommen lassen will, wird bei "Nordstrand" nur abgebucht, wenn der Film auch wirklich realisiert wird.

In den USA, wo Crowdfunding erstmals 2000 von der Künstlerplattform artistshare.com getestet wurde, feiern Branchenführer wie Kickstarter.com mit dieser Methode seit Jahren einschlagende Erfolge in der Indie-Filmszene. Und auch der finnische Science-Fiction-Film "Iron Sky", mit 7,5 Millionen Euro Gesamtbudget nicht gerade eine Kleinproduktion, konnte dank Crowdfunding-Geldern vergangenes Jahr gedreht werden, der Kinostart ist für April 2012 geplant.

Ernüchternde Beispiele gibt es allerdings auch. So ist das Online-Filmprojekt "Swarm of Angels" des Regisseurs Matt Hanson, vor fünf Jahren viel diskutiert, bis heute von seinem Ziel, insgesamt 50 000 Spender à 25 Britische Pfund zu rekrutieren, weit entfernt. Und auch "The Cosmonaut", ein spanischer Science-Fiction-Film in Stanislaw-Lem-Manier mit 860 000-Euro-Budget, kam nach viel Tamtam im Lancierungsjahr 2009 bislang nicht übers Planungsstadium hinaus.

"Das Grundproblem ist, dass Filme nunmal sehr finanzintensiv sind", sagt Stefan Schubert, Produzent bei der Hamburger Wüste Film. "Für kleine Projekte mag sich diese Art von Finanzierung lohnen, als Modell für den großen Kinofilm sehe ich Crowdfunding erst einmal nicht." Zumal allein die Ansprache potenzieller Interessenten ziemlich viel Energieaufwand auf Produzentenseite bedeutet. "Wer seinen Film bei uns zur Finanzierung anbietet, muss seine 'Crowd' mehr oder weniger selbst mitbringen", sagt inkubato.com-Betreiber Konrad Lauten.

Sprich: Freunde informieren, soziale Netzwerke nutzen, die Nachricht zeitgemäß unters Volk bringen. Oder wie es Konrad Lauten formuliert: "Wer weiß, wie man heutzutage Wirbel macht, für den kann sich Crowdfunding lohnen. Wer es schlicht als Inserierungsmethode begreift, wird auf sein Geld lange warten."