Oberammergau. Die berühmten Passionsspiele von Oberammergau, entstanden aus der Pestepidemie vor 400 Jahren, scheitern am Coronavirus: Sie finden dieses Jahr nicht statt. Sie werden zwar nachgeholt. Aber die Verkündung der Entscheidung ist ein emotionaler Moment.

Spielleiter Christian Stückl kämpft mit den Tränen. Tagelang hatte er mit den anderen Verantwortlichen beraten, abgewogen und gehofft - dass es doch geht. Nun ist die Entscheidung gefallen.

Die Oberammergauer Passionsspiele finden wegen der Ausbreitung des Coronavirus dieses Jahr nicht statt. Sie werden zwei Jahre verschoben, Premiere soll am 21. Mai 2022 sein. "Wir sagen nicht ab, sondern wir verschieben", betont Stückl. "Wir machen unsere Passion." Der "Advent" - also die Zeit der Vorbereitung - dauere nun eben länger. "Dann kommt halt Weihnachten später." Der Schutz der Gesundheit gehe vor - und anderen Menschen gehe es gerade schlechter.

Grundlage für die Absage für dieses Jahr ist ein Bescheid des Landratsamtes. "Das Risiko ist zu hoch, dass neue Infektionsketten entstehen", heißt es darin. "Aus gesundheitspräventiver Sicht ist die Veranstaltung daher zu untersagen." Landrat Anton Speer sagte, er fühle mit den Oberammergauern. Es sei aber klar, "dass wir erst am Anfang der Coronavirus-Krise stehen." "Besondere Lagen - und das ist die Coronavirus-Krise - verlangen leider auch besondere Maßnahmen."

Die Premiere war für den 16. Mai geplant, bis zum 4. Oktober wurden rund 450.000 Besucher aus aller Welt erwartet. Fast die Hälfte der gut 5000 Oberammergauer hätte mitgewirkt, um der Tradition folgend das Schauspiel vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu zu zeigen. Rund 4500 Zuschauer fasst das Freilichttheater. Für Speer ein zu hohes Risiko - zumal auch viele ältere Gäste kommen. Auch auf der Bühne stehen Betagte. Die älteste Mitspielerin ist 96 Jahre alt.

Entstanden aus der Pestepidemie bedeutet damit die Coronavirusepidemie das vorläufige Aus für die Passion. 1633 gelobten die Oberammergauer, alle zehn Jahre das Spiel vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Christi aufzuführen, wenn niemand mehr an der Pest sterben sollte - was der Legende nach auch geschah.

Mehrfach in der fast 400-jährigen Geschichte wurde das Spiel verschoben - just auch vor hundert Jahren. Wegen der Folgen des Ersten Weltkriegs wurde statt 1920 erst 1922 gespielt. 1770 fand die Passion aufgrund eines Generalverbotes nicht statt, 1870 wurde die Passion wegen des Kriegs mit Frankreich unterbrochen und 1871 fortgesetzt. 1940 verhinderte der Zweite Weltkrieg eine Aufführung.

Dieses Jahr war alles so gut wie fertig: Kostüme, Bühnenbild, Text. Seit Oktober 2018 stehen die Hauptdarsteller fest, sie reisten zur Vorbereitung nach Israel. Seit Dezember probten sie fast täglich. Manche haben unbezahlten Urlaub genommen, um dabei zu sein.

Vor gut einer Woche hatte Stückl die Volksproben mit vielen Menschen auf der Bühne und das Fotografieren für den Bildband ausgesetzt. Er sei der Letzte, der einfach "von Bord" gehe, sagt der 58-Jährige, der die Passion zum vierten Mal inszeniert. "Ich habe kein gutes Gefühl mehr gehabt." Am Dienstag unterbrach er auch die Proben in kleinerer Besetzung. Die Verantwortlichen dachten über Ausweichszenarien nach, erwogen eine Verschiebung der Premiere auf Juni oder Juli.

Das Gesundheitsamt entschied aber anders. In einer Risikoeinschätzung sei man zu dem Schluss gekommen, dass eine Durchführung der Passion bis in den Herbst hinein nicht möglich sei. "Es ist zu dem jetzigen Zeitpunkt schon eindeutig vorherzusagen, dass eine Veranstaltung in der Größenordnung der Passionsspiele nicht durchführbar ist."

Die Absage ist für Oberammergau auch eine wirtschaftliche Frage. 95 Prozent der Tickets waren verkauft. Voraussichtlich vom 6. April an können Karten und Arrangements nun in eine Reservierung für 2022 umgewandelt werden. Eine andere Möglichkeit sei die Stornierung der Karten und Arrangements mit einer Rückerstattung des Kaufpreises.

Zwar ist die Gemeinde mit gut 21 Millionen Euro gegen einen Ausfall versichert, wie Bürgermeister Arno Nunn sagte. Allerdings war ein Gewinn vor Steuern von gut 30 Millionen Euro erwartet worden. Rund 10 Millionen Euro fehlten nun in der Haushaltsplanung. Auch Gastronomie, Hotels und die Herrgottsschnitzer, für die Oberammergau bekannt ist, werden leiden. "Für unsere Gewerbetreibenden ist das ein schwerer Einschnitt. Aber die Maßnahme ist richtig."

Die Oberammergauer dürften nun erst einmal zurück zu ihrem alten Äußeren: Seit Aschermittwoch 2019 hatten sich alle Mitwirkenden Bart und Haare wachsen lassen, so will es die Tradition. Da wegen der Ausbreitung des Virus auch die Friseurläden zu haben, müssten vielleicht die Mütter zur Schere greifen, sagte Stückl. Kostüme und Kulisse werden erst einmal alle fertig gestellt. Den Text wird Stückl überarbeiten. Nicht zuletzt dürfte die Welt nach der Coronakrise eine andere sein.