Der Hamburger Unterhaltungskünstler und Grimme-Preisträger Olli Dittrich startet heute im St.-Pauli-Theater zu seiner großen Lesetour.

Hamburg. Nein, so ein blau-weiß-gestreifter Bademantel, wie ihn "Dittsche" trägt, wäre selbst hier, am nördlichen Hafenrand inmitten der vielen neuen Glasbauten, kein Farbtupfer. Und in der Veranstaltungsagentur ist es auch nicht wirklich "muckelig" an diesem grauen Freitagvormittag. Der Herbst ist da, Olli Dittrich auch.

Gefragt ist nicht Deutschlands skurrilster und lustigster Arbeitsloser, sondern der umtriebige Unterhaltungskünstler aus Hamburg, der Mensch hinter der Figur. Doch der gilt als zurückhaltend, ja sogar schüchtern.

Auf seiner großen Lesetour spielt das keine Rolle. Im St.-Pauli-Theater, in dem er schon an sein großes Vorbild, den leider fast vergessenen Hamburger Satiriker Heino Jaeger, erinnert hat, steigt am heutigen Montag Dittrichs erste Leseschau. Deren Basis ist seine ungewöhnliche Autobiografie "Das wirklich wahre Leben". Entstanden ist diese aus Interviews an Orten, die im Leben des gebürtigen Offenbachers eine Rolle gespielt haben. Ergänzt von Anekdoten, die Dittrich, der im Alter von drei Jahren nach Langenhorn kam, selbst geschrieben hat.

Der Mittfünfziger, der nach der mittleren Reife an der Staatsoper Mitte der 70er-Jahre den Beruf des Theatermalers erlernt hatte und danach erst mal jahrelang im Musikgeschäft erfolglos blieb, weiß, was es heißt, sich als freischaffender Künstler behaupten zu müssen: "Ich war immer sehr fleißig und sehr diszipliniert, das ist die Basis, die Improvisation und freie Gestaltung überhaupt erst möglich macht."

Diese Gabe bringt der dreifache Grimme-Preisträger bei seinem Soloprogramm ein: Gelesene Anekdoten machen nur etwa die Hälfte aus. Dittrich durchlebt die Bühnensituation: "Jeder Abend ist anders. Das Publikum liebt es, dabei zu sein, wenn etwas entsteht; Teil des Moments zu sein und direkt angesprochen zu werden."

Auch beim "Spocht", wie Dittrich diese Rubrik einst bei "RTL Samstag Nacht" getauft hatte. Das Buchkapitel "Auswärtssieg" aus seiner frühen Fußballerzeit beim TuS Alstertal reichert er immer mal wieder spontan an. Beschreibt etwa bei der Fahrt nach Hannoversch Münden haarklein den VW Karmann-Ghia, diesen bis 1974 gebauten flachen Flitzer mit Käfermotor. Oder erzählt, wie die Kinder nach Tri Top lechzten, dieser süßen, mit Leitungswasser gestreckten Plörre.

"Ich versuche mit meinen improvisierten Erzählungen Bilder in den Köpfen der Zuschauer entstehen zu lassen. Das ist das Spannende", meint Dittrich. "Das macht doch mehr Freude, als alles zu zeigen und alles vorzukauen."

Und wenn er, der "Menschendarsteller", hernach auf der Straße erkannt wird? "Nervt gar nicht", sagt Dittrich. "Mir kommt sehr viel Sympathie entgegen, wenn ich mal direkt angesprochen werde." Der "Glamour-Promi" sei er ohnehin nicht. "Der rote Teppich ist grundsätzlich nicht mein Parkett. Ich muss nicht immer überall da sein, wo Fotografen sind. Das hat auch viel damit zu tun, wie ich als Künstler gewachsen bin und wie mein Weg war."

Nach der Lesetour wird Dittrich vom 18. November an wieder den Mann im Bademantel mimen. Dann ist Volkstrauertag. "Dittsche" aber kann in der Eppendorfer Grillstation via WDR und NDR fortan seinen Senf zu aktuellen Entwicklungen dazugeben. Und im Imbiss war es bisher ja immer so richtig schön "muckelig".

"Das wirklich wahre Leben" Mo 1.10., 20.00, St.-Pauli-Theater (S Reeperbahn), Spielbudenpl. 30, Restkarten ab 16,70 unter T. 47 11 06 66, www.st-pauli-theater.de