Martin Kusej inszenierte im Schauspielhaus Ibsens “Baumeister Solness“ mit Werner Wölbern in der Titelrolle.

Die beiden sind ein Dreamteam: Regisseur Martin Kusej und der Schauspieler Werner Wölbern. Schon in Stuttgart Mitte der 90er-Jahre haben die profilierten Bühnenkünstler zusammengearbeitet. Am Thalia-Theater spielte der facettenreiche Charakterdarsteller in Kusejs Regie Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" und Marlowes "Edward II.". Ihre Erfolgsserie setzten die beiden am Wiener Burgtheater fort: mit Karl Schönherrs "Heimat und Erde" und zuletzt "Der Weibsteufel".

Nun also Ibsen, das Drama "Baumeister Solness."

Auf der Höhe seines Könnens und Ruhms angekommen, fürchtet der Architekt die Konkurrenz der Jungen, mobbt den begabten Zeichner Ragnar. Dessen Vater hat Solness auch ausgebootet und fürchtet nun den Sohn. Die Ehe mit seiner Frau Aline ist zerrüttet. Da taucht die junge Hilde Wangel auf und bringt den Baumeister buchstäblich aus dem Gleichgewicht. Beim Richtfest für ein neues Gebäude will sie ihn wieder auf einem Turm sehen - wie damals als kleines Mädchen, das den jungen Baumeister glühend bewunderte. Solness stürzt ab.

In der Probenarbeit mit Werner Wölbern spricht der Regisseur von Seelenverwandtschaft. "Wir sind auch Freunde, was es in unserem Beruf nicht so oft gibt. Wir kennen uns in- und auswendig", sagt er. Trotzdem können sich die beiden noch gegenseitig überraschen. "Im Groben sind wir uns klar, doch in den Nuancen, in den feinen Bereichen gibt es sehr viel Unbekanntes, was zu entdecken beiden Freude macht." Kusej braucht Schauspieler und Mitarbeiter, die genau wissen, was er will, und auf denselben Schwingungen unterwegs sind, wie er sich ausdrückt. "Dann muss man beim Regieführen nicht mehr organisieren, sondern kann mit ihnen in die Tiefen der Figuren ausloten." Darum hat sich Kusej für seinen "ersten Ibsen" entschieden: "Er bietet die Möglichkeit, sich extrem auf deren innere Konflikte und die Schauspieler zu konzentrieren."

Solness spürt, dass er mit seiner Karriere am Ende ist, hofft in der Begegnung mit der jungen Hilde frische Kraft zu tanken, bleibt aber blind für die eigentlichen Probleme, die er lösen müsste. Um Ängste, den Selbstbetrug und uneingestandene Schuld dreht sich das Stück in der Sicht des übrigens schwindelfreien Bergsteigers Kusej. Die Alten und Jungen im Generationskonflikt interessieren ihn, das "Atmosphärische und die Korbstühle im Salon" schenkt er sich dagegen, um zur Essenz des Stückes vorzudringen.

Kusej liest Stücke sehr genau. "Wenn ich das Gefühl habe, ich sehe so eine Wunde, wo man den Finger reinbohren kann, dann tue ich das auch." Zwar bleibt Ibsen in seinem Stück sehr vage, doch den Regisseur beschäftigt die Frage: "Was ist mit dem Kind Hilde Wangel vor zehn Jahren wirklich passiert?" Kusej ist sich ziemlich sicher: "Es war wohl ein Fall von Kindesmissbrauch."

Es geht ihm dabei nicht um moralische Wertung, sondern um die Situation einer Tabuverletzung, einer Grenzüberschreitung. "Es war ein Moment, in dem Solness außer sich geraten ist, und ich glaube: Hilde schlägt sich seit zehn Jahren mit Fragen herum und will jetzt eine Antwort. Die könnte auch heißen: Wir machen gemeinsam weiter." Aber Solness ist nicht mal in der Lage zuzugeben, dass er falsch gehandelt hat, geschweige dafür einzustehen. "Das ist meine Theorie".

Und vielleicht auch eine Erklärung für den selbstmörderischen Turmsturz von Solness.

Baumeister Solness Deutsches Schauspielhaus (U/S Hauptbahnhof), Kirchenallee 39, Karten zu 11,- bis 55,- unter T. 24 87 13 sowie im Internet unter www.schauspielhaus.de