Das Hamburger Satire-Trio Studio Braun beweist mit “Fahr zur Hölle, Ingo Sachs“, dass sein virtuoser Humor auch in Berlin funktioniert.

Berlin. Es ist das Jahr des Heinrich von Kleist. Und sogar das Satire-Trio Studio Braun, bekannt geworden durch absurde Telefonstreiche und zwei Bücher über die Jugend auf dem Lande ("Dorfpunks", "Fleisch ist mein Gemüse"), huldigt dem vor 200 Jahren verstorbenen Dichter. Natürlich auf seine Weise. Mit dem als Actionmusical deklarierten Abend "Fahr zur Hölle, Ingo Sachs" wagt das Trio sein erstes theatrales Auswärtsspiel in der Hauptstadt und sticht mit seinem in Hamburg über Dekaden gewachsenen Anarcho-Punk-Humor gleich mitten hinein in den Hochkulturtempel des Deutschen Theaters Berlin. Kann das gut gehen?

+++Ein Urlaub mit Heinz Strunk ist kein Zuckerschlecken+++

Es kann. Denn siehe da, das Publikum aus intellektueller Boheme und Bildungsbürgertum sitzt zur Uraufführung friedlich vereint mit seligem Grinsen im Gestühl. Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger hauen mit den am Schauspielhaus Hamburg erprobten Parametern ihres psychedelischen Volkstheaters wieder derart auf die Sahne, dass man sich fragt, warum sie diesen hehren Tempel der Stadttheaterkunst nicht schon früher mit ihrem Gute-Laune-Frohsinn überzogen haben. Genau genommen ist "Fahr zur Hölle, Ingo Sachs" eine Buttercremetorte. Viele Schichten, von allem zu viel und trotzdem ein Genuss. In einer Art Rahmenhandlung geben die drei Spaß-Matadore faltenberockt in adrettem Schwarz-Weiß Auskunft darüber, dass sie hier ein Theaterstück über Filmarbeiten inszenieren.

Dahinter zaubern sie aus Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" und dem Charles-Bronson-Klassiker "Ein Mann sieht rot" eine wüste Racheparodie. Der unerschrockene Felix Goeser mimt mit Perücke, Schnauzer und Schmirgelpapierstimme Michael Coolhaze, dem statt zweier Rösser zwei Motorräder durch einen korrupten Cop abhandenkommen, die Gattin erschlagen und die Tochter vergewaltigt wird, woraufhin er zum Rächer mutiert. Da auf "Ein Mann sieht rot" (1974) mehrere floppende Fortsetzungen folgten, muss hier Arthouse-Regisseur Ingo Sachs, gespielt von Ole Lagerpusch, ran. Zittrig seinen Brillenbügel kauend, legt er eine tolle, hemmungslose Exzentrik ("Du bist wie ein Pferd, das nicht springen will") hin.

Überhaupt lässt sich das Ensemble fulminant auf den Braun-Humor ein. Katrin Wichmann entzückt als Coolhaze-Tochter und verzweifelnde Nachwuchsmimin, die nach der Vergewaltigungsszene von ihrem Team zum Bergfest schlicht vergessen wird. Anita Vulesica glänzt als Coolhaze-Gattin, die nicht nur stimmgewaltig eine "Nikotina Turner" gibt, sondern auch schön bissig Ingo Sachs persifliert. Unter dem hat am meisten Moritz Grove als Regieassistent zu leiden, der sich am Schluss in eine theaterimmanente Zickerei versteigt, weil er auch gerne die Bronson-Rolle eingeheimst hätte.

Mit dem melancholischen Blick eines geprügelten Hundes serviert Felix Goeser als Coolhaze Drogendealer, Vergewaltiger und andere Spitzbuben ("Ich hasse Straßenmusiker") mit der Pumpgun ab. Als unvermeidliche Mutter huscht dabei Heinz Strunk durchs Bild. Dass sich dieses Zitat durch sämtliche Braun-Produktionen zieht, hätte sicher keiner Erklärung bedurft. Wie überhaupt die expliziten Momente ("Jetzt mach doch mal was anderes") neben den wie üblich zelebrierten Durchhängern zu den schwächeren des Abends zählen. Insgesamt wird das Trio immer konsequenter darin, seine Szenen straff durchzuchoreografieren.

Wie gut, dass es da auch noch die Musik gibt, präsentiert von echten Könnern. "Sebastian, schmeiß den Fuchs auf die Gleise", brüllt Palminger. Und Bandleader Sebastian Hoffmann haut mit einem geschniegelten 16-Mann-Orchester auf die Bigband-Sahne. Da schmatzt die Gibson, die Bläser dröhnen, die Streicher schwingen sich auf zu einer großen Kakofonie und versetzen in die guten alten 70er-Jahre, Hochzeit von schweigsamen Rächern, wie Ein-Gesicht-Mime Charles Bronson.

Die moralische Verwerflichkeit der Selbstjustiz steht hier nicht zur Debatte. Coolhaze ist "ein ganz harter Spießer" (Schamoni), ein zum Massenmörder mutierender Verfechter der Gerechtigkeit in eigener Sache, dem auch schon mal eine Katze oder eben die eigene Mutter vor die Flinte gerät. Die Musik, sie ist hier größer, urbaner gedacht. "New York, du bist Flucht über Leitern", singt das Trio, untermalt von ein paar gezielten Querflötentönen Heinz Strunks. Rocko Schamoni huldigt aufs Cremigste der "Brooklyn Woman". Die Welt kann noch so böse sein, wenn sich Jacques Palminger in einem himmelblauen Kostüm als "Blaue Note" zur versöhnlichen Himmelssymphonie aufschwingt, herrscht überall Harmonie.

Das hätte vielleicht sogar Kleist gefallen. Auch wenn Nörgler hinter all der fröhlichen Anarchie nur Trash wittern und den Sinn von Subventionen anzweifeln - hach, es war doch wieder schön. Und allemal lohnenswert für den hanseatischen Hauptstadtbesucher, der nicht bis Februar nächsten Jahres warten will. Wenn "Fleisch ist mein Gemüse (Phoenix - wem gehört das Licht)" am Schauspielhaus in einer überarbeiteten Version Wiederaufnahme feiert.

"Fahr zur Hölle, Ingo Sachs": weitere Vorstellungen 26.11., 27.11., 17.12., 18.12., 31.12., Deutsches Theater Berlin, Schumannstraße 131, Karten unter T. 030/28 44 12 25; www.deutschestheater.de