Kampnagel startet mit der Choreografie “Sutra“ von Sidi Larbi Cherkaoui. Das Stück erzählt spektakulär vom Kreislauf des Lebens zwischen Aufbau und Zerstörung

Die Tänzer in den grauen Kostümen bilden Ketten aus Körpern. Sie schießen in Sprüngen und Überschlägen quer durch den Raum - wie an Fäden gezogen. Die einfachen körperlangen Holzkisten positionieren sie in Reihen, brechen diese wieder auf, setzen sie zu neuen Mustern zusammen - als ob Kinder mit überdimensionalen Holzklötzen spielen. Ein kleiner Mönch befindet sich in der Gruppe. Er verschwindet in den Löchern, schlägt Purzelbäume oder probiert mit dem einzigen westlichen Tänzer Ali Thabet skulpturale Figuren in einer Kiste.

Das Sanskrit-Wort "Sutra" bedeutet Faden oder Kette, bezeichnet aber auch kurze Lehrsätze in Versform aus buddhistischen oder hinduistischen Schriften. Sie fassen in wenigen Worten die Essenz allen Wissens zusammen. Der flämisch-marokkanische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui spielt in seiner faszinierenden Choreografie mit der direkten wie auch mit der übertragenen Bedeutung des Wortes "Sutra" im Raum. Er ließ sich von der Spiritualität der Zen-Philosophie, aber auch von der virtuosen Kung-Fu-Kampfkunst inspirieren. Shaolin-Kung-fu hat seine Wurzeln im Zen-Buddhismus, verbindet Elemente des Tai-Chi und Qigong und wird in unzähligen Varianten ausgeübt. Die chinesischen Wushu-Showgruppen und vor allem die Kung-Fu-Filme machten die rasante, verblüffende Kampfkunst weltbekannt.

"Sutra" wurde von den Kritikern des internationalen Tanzmagazins "ballet-tanz" zur hervorragenden Produktion des Jahres 2009 gewählt. Zudem erhielt Cherkaoui für die sensationelle Produktion, in der sich westliche und östliche Kultur begegnen und durchdringen, den Kairos-Preis 2009 der Körber-Stiftung. Der kosmopolitische Choreograf aus Alain Platels Kreativwerkstatt "Les Ballets C de la B" versteht den Tanz als einen Weg zu Erkenntnis und Verständnis des Lebens. Und als ein Ritual, bei dem sich Menschen treffen und miteinander das Erlebnis der Aufführung teilen. Cherkaoui musste zwangsläufig beim Zen-Buddhismus landen und hat vor Ort, an der Wiege des Shaolin, im Tempel von Henan "Sutra" geschaffen.

Die Raum-Installation entwarf der bekannte britische Künstler und Turner-Preisträger Antony Gormley. Zur Musik für Klavier und Streicher des polnischen Komponisten Szymon Brzóska spielen die Mönche mit den Holzkuben, schließen und öffnen mit ihnen den Raum aus Klang und Licht. "Sutra" erzählt vom Kreislauf des Lebens zwischen Aufbauen und Zerstören, zwischen Anfang und Ende, Geburt und Tod.

Sutra 30.9.-3.10., jew. 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20-24, Karten (22,- bis 36,-): T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de