Ausstellung

In der Produzentengalerie: Die Stadt ganz neu sehen

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Paul Weinheimer
Ausstellung in der Produzentengalerie Hamburg: "Diese Fläche ist zu vermieten".

Ausstellung in der Produzentengalerie Hamburg: "Diese Fläche ist zu vermieten".

Foto: Photo: Helge Mundt Courtesy: Beate Gütschow, VG Bildkunst, Bonn 2023, Produzentengalerie Hamburg

Eine Gruppenausstellung beschäftigt sich mit Teilhabe und Entfremdung im öffentlichen Raum.

Hamburg.  Man sieht die Stadt vor lauter Häusern nicht. So in etwa lässt sich das Essay von Walter Benjamin „Diese Flächen sind zu vermieten“ (1928) herunterbrechen. Mit „diesen Flächen“ spielte Benjamin damals auf die Zunahme von Werbeplakaten an. Zusammen mit dem immer dichteren Wohnungsbau entstehe eine Distanzlosigkeit: „Die Dinge sind indessen viel zu brennend der menschlichen Gesellschaft auf den Leib gerückt“, schrieb er.

Die Produzentengalerie Hamburg zeigt unter dem Titel des Essays eine Gruppenausstellung von Noémi Barbaglia, Noi Fuhrer, Beate Gütschow, Irmel Kamp, Manfred Pernice, Thomas Schütte, Sebastian Stumpf und Nicole Wermers. Die Werke knüpfen an Benjamins Gedanken an, indem sie sich mit der Frage nach Realität, Fiktion, Entfremdung und Teilhabe im öffentlichen Raum beschäftigen.

In der Produzentengalerie: Die Stadt ganz neu sehen

Die siebenteilige Fotoserie „Sukima“ des Leipziger Künstlers Sebastian Stumpf „zeigt vielleicht am deutlichsten, was Benjamin meint, wenn er schreibt: ,Die Dinge sind uns auf den Leib gerückt‘“, sagt Luise Nagel von der Produzentengalerie. Auf jedem der Fotos ist Stumpf zu sehen, allerdings nur von hinten. Er steht jeweils zwischen einem Häuserspalt, der ihn, so wirkt es, zu verschlucken droht. „Traditionell wird der Blick des Betrachters durch das Rückenmotiv in die Weite geführt. Hier allerdings bleibt dem Betrachter das verwehrt“, sagt Nagel.

Weitere Werke skizzieren Einblicke in Alltagssituationen des öffentlichen Lebens. So zeigt die Installationskünstlerin, Bildhauerin und ehemalige HfbK-Absolventin Nicole Wermers in ihren Fotoarbeiten „Attachment#28“ und „#27“ ein Ensemble aus angeketteten Fahrrädern. Es ist vor allem der Blick für Details, den ihre Arbeiten auszeichnet. Auch hier muss genauer hingesehen werden: Dann entpuppt sich das Motiv als ein Knäul von Fahrradrahmen, -schlössern und -lenkern, die als Collage zusammengefügt sind. Die einzelnen Teile wirken, als ob sie miteinander um den Platz konkurrieren müssen: Freiraum – ein rares Gut in der Stadt.

In der Arbeit „Permanent View“ zeigt Noémi Barbaglia, ebenfalls HfbK-Absolventin, ein großes, auf dem Boden liegendes Objekt, das aussieht wie ein Dachfenster. Bestehend aus Glasfaser und Epoxidharz verwehrt es die Sicht auf das Darunter. „Das Fenster wird in meiner Arbeit zum Raum verdreht“, erklärt die Künstlerin. Nicht nur sieht das Fenster täuschend echt aus, der Innenraum wird durch den Perspektivwechsel gewissermaßen auch zu einem Außenraum.

Was die Werke der Ausstellung verbindet, ist das Spiel mit gewöhnlichen Motiven

Unter dem Mappentitel „Für Außen“ vereint der Oldenburger Thomas Schütte zehn Planskizzen: Eine Sammlung von Objekten, die er für den öffentlichen Raum entworfen hat. Bis auf zwei wurden alle realisiert, darunter auch die Installation „Eis“, die 1987 auf der documenta 8 zu sehen war und sich aktuell als Pappmodell in der Hamburger Kunsthalle befindet. Aus der Form eines umgedrehten Eimers konstruierte Schütte einen Eis-Pavillon: „Ein voll funktionierendes Café, in dem tatsächlich Eis verkauft wurde“, sagt Nagel. In seinem Werk verbindet er einerseits Formgebung und Funktion, andererseits zeigt sich darin seine Kritik an dem vermeintlichen Event-Charakter der Kunstmesse.

Was die Werke der Ausstellung verbindet, ist das Spiel mit gewöhnlichen Motiven, die in ihrer besonderen Darstellung zu einer neuen Wahrnehmung der so alltäglich gewordenen Stadt führt.

„Diese Fläche ist zu vermieten“ bis 6.4., Mi–Fr 12.00–18.00, Sa 12.00–15.00, Hamburger Pro­duzentengalerie, Admiralitätstraße 71, weitere Infos: produzentengalerie.com