Hamburg. Joachim Lux ist stolz. Der Intendant des Thalia Theaters blickt in den Saal bei der 13. „Langen Nacht der Weltreligionen“ und stellt fest: Die Veranstaltung, die traditionell das hauseigene Festival Lessingtage beschließt, ist ausverkauft. Und das im eher religionsfernen Hamburg.
„Weswegen hat sich dieses Format in einer durch und durch säkularen Gesellschaft durchgesetzt?“, fragt Lux, nicht ohne einen Seitenhieb auf diejenigen, die doch eigentlich für religiöse Sinnstiftung zuständig sind: „Das fragen mich insbesondere protestantische Geistliche, die bleich werden, wenn sie von diesem Erfolg hören.“ Gelächter.
Vielleicht lacht das Publikum, weil es davon ausgeht, dass es in der Folge nicht mehr viel zu lachen gibt? Der Abend steht immerhin unter dem Motto „Freiheit der Andersdenkenden – Religionen, Gewalt und Toleranz“, das verspricht ein hohes diskursives Niveau bei verhältnismäßig wenig Spaß.
Lessingtage am Thalia Theater: „Lange Nacht der Weltreligionen“ verhandelt große Fragen
Aber: Die „Lange Nacht der Weltreligionen“ verhandelt große Fragen, unter anderem mit zwei hochkarätig aus Theologie, Philosophie, Sozialpsychologie und Literaturwissenschaft besetzten Diskussionsrunden. Doch diese Fragen sind eingebettet in einen bunten Abend der weltanschaulich-künstlerischen Diversität. Was heißt, dass auf die (von Christiane Florin zupackend moderierten) Gesprächskreise immer wieder schauspielerische, musikalische oder kabarettistische Verschnaufpausen folgen.
Der Philosoph und Moderator Manuel Scheidegger also hält einen Vortrag namens „Denken und Toleranz“, der sich als Mischung aus Philosophie und Stand-up-Comedy entpuppt. Die Thalia-Ensemblemitglieder Lisa Hagmeister, Cathérine Seifert und André Szymanski lesen aus Guus Kuijers Genesis-Überschreibung „Kain und Abel“ und aus Colum McCanns Nahostkonflikt-Roman „Apelrogon“.
Der Autor Hartmut El Kurdi beschreibt, wie er sich als Jugendlicher mit den Zeugen Jehovas überwarf. Das ist lustig. Und es ist berührend. Und wenn man sich darauf erst mal eingelassen hat, dann nimmt man auch die Diskussionen mit, bei denen einerseits über den utopischen Gehalt von Religion gestritten wird, andererseits über die ihr innewohnende Gewalt.
Fromm geht es bei der „Langen Nacht der Weltreligionen“ nicht zu
Denn man muss festhalten: Der Abend heißt „Lange Nacht der Weltreligionen“, aber fromm geht es hier nicht zu. „Sind Religionen noch zu retten?“, fragt Lux zu Beginn und gibt angesichts von Kreuzzügen, Dschihad, religiös begründetem Judenhass und Pogromen an Muslimen durch Buddhisten in Myanmar zu, dass er da seine Zweifel habe.
Und insbesondere in der zweiten Diskussionsrunde beschreibt die Freiburger Literaturwissenschaftlerin Tatjana Jesch eindrücklich, wie gewalthaltig die Bergpredigt sei. Wenn es schon in diesem als besonders friedfertig verklärten Text um Mord, Selbstverstümmelung und Bestrafungsfantasien geht, dann will man gar nicht wissen, was einen sonst so bei der Religion erwartet. Oder?
Vorsicht: Aus Sicht des Theatermachers Lux hat Religion bei aller Skepsis eben doch ihren Wert. Weil sich hier nämlich ein tiefes Wissen der menschlichen Psyche erkennen ließe, angesichts der Versuche, einen Platz in einer Welt zu finden, die nur teilweise verstanden wird. Was dann eben auch als Plädoyer lesbar ist für eine Religion, die sich aus der Politik tunlichst heraushalten sollte, für die Kunst aber durchaus ein strukturstiftendes Moment darstellt.
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Also Vorhang auf für die Kunst. Zum Beispiel für den Theaterkurs der Stadtteilschule Blankenese, der eine Art Spielshow inszeniert, in der verschiedene göttliche Prinzipien gegeneinander antreten, und das Publikum darf am Ende per Applaus entscheiden, ob „Toleranz“, „Religion“ oder „Gewalt“ am meisten sinnstiftend sei.
Bloß, dass das Votum schnöde ignoriert wird – die Zuschauer präferieren die Toleranz, als Sieger wird aber die Gewalt gekürt. Das ist ein angesichts des jugendlichen Alters der Performer in seiner Desillusioniertheit ziemlich trauriger Hinweis darauf, dass Sinnsuche gut und schön ist, aber von interessierten Kreisen auch uminterpretiert werden kann.
Dass sich schließlich, bei der so sehenswerten wie hermetischen Tanzperformance „Body Of Truth“, die Reihen im Thalia merklich lichten, hat freilich nichts damit zu tun, dass das zunächst Weltreligionen-begeisterte Publikum plötzlich vom Glauben abgefallen wäre. Sondern eher damit, dass sich die ursprünglich mit dreieinhalb Stunden Dauer angekündigte Veranstaltung mittlerweile der Fünfstundenmarke nähert. Eine lange Nacht, wahrlich.
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