Julia Fischer

„Geht Ihnen die Formulierung ,Stargeigerin‘ auf die Nerven?“

| Lesedauer: 12 Minuten
Geigerin Julia Fischer: „Es ist einfach traurig, dass es für die Stadt Hamburg offensichtlich nicht so wichtig war.“

Geigerin Julia Fischer: „Es ist einfach traurig, dass es für die Stadt Hamburg offensichtlich nicht so wichtig war.“

Foto: Uwe Arens

Die Musikerin spricht im Abendblatt über unnötigen Weltruhm und nervenaufreibende Umstände rund um ein Elbphilharmoniekonzert.

Hamburg. Sie hat jeden der großen Wettbewerbe gewonnen, an denen sie teilgenommen hat. Hin und wieder legt sie die Geige zur Seite und gibt Konzerte als Pianistin. Lange, tolle Karriere, weltweiter Erfolg, aber dennoch: Julia Fischer wirkt nicht so, als würde sie sich für und wegen solcher Dinge verbiegen wollen.

Vom Plattenfirmen-Konzept hat sie sich schon vor Jahren mit einer Website emanzipiert, auf der sie Clubmitgliedern ihre Aufnahmen anbietet. Und auch als Lehrerin hat sie einiges über ihre Branche zu sagen.

Hamburger Abendblatt: Geht Ihnen eigentlich die Formulierung „Stargeigerin“ auch so auf die Nerven oder finden Sie: Ist verdient, passt so?

Julia Fischer: Darüber habe ich nie nachgedacht. Das ist halt so ein Titel, der wahrscheinlich mit Bewunderung und Respekt verbunden ist. Aber ich identifiziere mich damit nicht, ich sehe mich ja nicht so. Jedem jungen Musiker sollte diese Frage gestellt werden: Warum willst du Berufsmusiker werden? Ist die Antwort „Stargeiger“, oder „berühmt werden“ oder „so viel Geld wie möglich verdienen“ – das ist die falsche Motivation. So darf man nicht Künstler werden.

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Warum sind Sie es geworden? Also nicht „Stargeigerin“, aber Künstlerin?

Fischer: Weil für mich Musik die unmittelbarste Verbindung zu anderen Menschen ist. Weil ich wirklich gern spiele, für andere Menschen und mit anderen Menschen. Es ist für mich absolut zweitrangig, ob das in einem großen Saal passiert, einem kleinen Saal, einem berühmten Saal oder in einem Hauskonzert. Ich musiziere für mein Leben gern, ich brauche das wie essen und trinken. Deswegen habe ich das zu meinem Beruf gemacht und ich wäre auch genauso zufrieden und glücklich, wenn ich nicht berühmt geworden wäre. Es ist schön, dass es so gekommen ist, aber es war nicht die Motivation.

Mit zwölf Jahren haben Sie sich dafür entschieden, mehr mit der Geige unterwegs zu sein als am Klavier. Haben Sie das jemals bereut? Oder war es auch eine praktische Entscheidung, weil Sie sich dachten: Wenn ich beides spiele, muss ich auch doppelt so viel üben?

Fischer: Beides ist nicht zu schaffen. Das Klavier-Repertoire ist einfach so immens groß. Ich habe mich nie bewusst entschieden. Ein Grund war wahrscheinlich, dass meine Mutter zuhause die Pianistin war und mein Bruder auch Klavier spielte. Ich habe mich mehr an der Geige gesehen, weil das Klavier halt schon besetzt war. Wenn ich unterwegs bin und in meiner Garderobe ein Klavier habe, spiele ich immer. Und zu Hause übe ich genauso oft Klavier wie Geige.

Sie haben sich schon vor einigen Jahren online mit Ihrem „JF Club“ selbstständig gemacht. Man kann bei Ihnen Mitglied werden, für 5 Euro im Monat und 50 Euro im Jahr, kann Aufnahmen abrufen und Informationen erhalten. Dinge, die eine Plattenfirma eher nicht anböte, weil die Stücke zu kurz oder zu speziell sind. Wie froh sind Sie jetzt, dass Sie das damals an den Start gestellt haben? Es rechnet sich wahrscheinlich immer noch nicht, aber es ist eine Unabhängigkeitserklärung.

Fischer: Ich bin total froh. Die finanzielle Seite ist für mich nicht relevant, weil man mit CDs ja auch kein Geld verdient. Man verdient Geld mit Konzerten, so ist das Leben, und wenn man mehr Geld verdienen möchte, muss man mehr Konzerte spielen. Ganz einfach. Das hat mir Unabhängigkeit gegeben, ich bin keine Rechenschaft mehr schuldig. Für diese Freiheit verzichte ich sehr gern auf die PR-Maschinerie einer großen Plattenfirma. Wenn mich zehn Prozent weniger Leute kennen, ist das vollkommen okay, aber ich möchte nicht, dass mir jemand sagt, ich müsste nach einem Konzert mit Person A und B Essen gehen, C und D bekommt ein Interview, E und F bekommen Autogramme. Ich möchte selber entscheiden können.

Haben sich seitdem Kolleginnen oder Kollegen bei Ihnen gemeldet, um mehr darüber zu erfahren?

Fischer: Alle. Jeder, mit dem ich zusammenarbeite, fragt mich danach. Man muss aber diesen Drang nach Selbstständigkeit haben. Es gibt ja auch viele Musiker, die sich nicht kümmern möchten, die gerne in eine Plattenfirma eingebunden sind. Ich hab nichts gegen Plattenfirmen. Aber ich bin einfach nicht der Typ dafür. Da gibt es nur endlose Diskussionen und das lohnt sich nicht.

Ist das ein Schritt, den jetzt viel mehr Künstler gehen müssten, um für sich neue Strukturen zu schaffen?

Fischer: Das letzte Jahr war ein Ausnahmejahr, ebenso dieses Jahr, die Saison 20/21 ist ja auch gelaufen. Ich glaube aber, dass wir ab Herbst wieder ein relativ normales Konzertleben haben werden. Ich bin mir relativ sicher, dass das gesamte Leben ab Herbst wieder in eine gewisse Normalität zurückkommen wird. Was macht man also mit diesem 2021? Da geht es vielen Musikern sehr, sehr unterschiedlich. Ich habe das unglaubliche Privileg, Professorin zu sein, das finanzielle Privileg, verbeamtet zu sein. Dazu kommt das künstlerische Privileg, dass ich jede Woche in die Hochschule gehen und unterrichten kann. Ich weiß nicht, wie ich dieses Jahr psychisch verkraftet hätte, wenn ich das nicht gehabt hätte.

Viele Musikerinnen und Musiker haben sich in den letzten Monaten gefragt: Wer bin ich eigentlich noch und warum?

Fischer: Ich hatte sicher totales Glück, dass mir das nicht passiert ist. Im letzten Jahr habe ich wahnsinnig viel Zeit damit verbracht, in Noten-Apps Noten zu lesen, ich habe Stücke kennengelernt, Komponisten kennengelernt, Werke gelernt.

Sie sind aber weit davon entfernt zu sagen: Diese Zeit hatte auch etwas Gutes?

Fischer: Ich habe den Eindruck, dass alle zum vorherigen Status zurückwollen, und dann bringt so eine Krise gar nichts. Schon vor Corona habe ich infrage gestellt, ob es so sinnvoll ist, dass jedes Orchester ununterbrochen auf Tournee ist. Ich hätte pro Jahr 20 Asien-Touren spielen können. Jedes Orchester, bei dem ich war, war nicht damit zufrieden, dass ich vor Ort die Abo-Konzerte gespielt habe. Alle wollten immer gleich auf Tour gehen, ich weiß nicht, ob das eine gute Entwicklung ist.

Dieses Prestigedenken hat sich in den letzten Monaten verflüchtigen müssen.

Fischer: Ich denke nicht, dass meine Karriere erfolgreicher ist, weil ich in Shanghai auf die Bühne gehe, wirklich gar nicht. Es ist schön, durch die Gegend zu reisen und das zu sehen, das stimmt, möglicherweise kann ich auch so reden, weil ich das alles gesehen habe. Aber wenn man mir heute die Frage stellt, ob ich morgen in London spielen möchte oder in Planegg, dann nehme ich halt Planegg. Da kann ich mit dem Fahrrad hinfahren.

Ende Oktober waren Sie in der Elbphilharmonie, beim NDR-Jubiläumskonzert mit Brahms’ Doppelkonzert zum 75. Geburtstag des Orchesters. Nicht alles lief wie geplant. Sie haben sich anschließend aufgeregt, weil der NDR das Ganze nicht live im Fernsehen gesendet hat.

Fischer: Die ganze Woche war absurd. Ich werfe das ja nicht nur dem NDR und nicht nur meine Person betreffend vor. Die Münchner Staatsoper spielt laufend, ohne Publikum, und streamt das dann live. Im deutschen Fernsehen hat man sich komplett abgewöhnt, Konzerte zu senden. Die ARD bringt im ersten Programm viermal pro Woche, glaube ich, einen Krimi. Fußball sehen wir am laufenden Band. Die dritten Programme hätten in den vergangenen zwölf Monaten einfach sagen müssen: Die Orchester spielen immer Donnerstag und Freitag. Und unabhängig davon, ob 50 Leute im Saal sein dürfen, 100 oder der Saal voll besetzt ist – das Konzert am Donnerstag wird einfach immer live übertragen. Hätte man ja einfach machen können, aber keine einzige Station war dazu bereit oder hat darüber auch nur nachgedacht. Ich habe das schon öfter erwähnt und jedes Mal hieß es: Ach, das wäre ja mal eine Idee gewesen. Man hat wirklich den Eindruck, dass auch für die Politik Kultur wirklich der absolut letzte Punkt ist, der wichtig ist.

Und wie war es konkret hier?

Fischer: Das erste Problem war, dass der Cellist Daniel Müller-Schott aus der Schweiz anreiste, er hatte einen Test gemacht und das Ergebnis kam vier Tage lang nicht. Während der Probe am Donnerstag sickerte durch, dass der Hamburger Bürgermeister darüber nachdenkt, das Publikum – es waren 600 Leute zugelassen – nicht mehr zuzulassen. Der Lockdown war ab dem 2. November, unser Konzert war am 30. Oktober, und damit man mit gutem Beispiel vorangeht, lässt mal das Publikum schon weg. Eine Stunde vor der Generalprobe am Freitag wurde ich am Lift schon abgefangen, ich sollte zurück ins Hotel, weil ein Musiker positiv getestet worden war. Wir hatten keine Generalprobe und wussten bis 17.30 Uhr nicht, ob wir am Abend würden spielen dürfen. Um 19 Uhr fand nur eine Anspielprobe statt. Das Orchester war in der Zwischenzeit durchgetestet worden, mit Schnelltests, die waren alle negativ. Und dann haben wir halt gespielt. Der NDR hat das aufgezeichnet und erst am nächsten Tag, so gegen 23.30 Uhr gesendet. Es war die 75-Jahr-Feier, es gab eine Ansprache des Bundespräsidenten. Es ist einfach traurig, dass es für die Stadt Hamburg offensichtlich nicht so wichtig war, dass man das gemeinsam – die ganze Stadt und auch noch in der Elbphilharmonie – um 20.15 Uhr feiert. Wenn der NDR darum eine Show wie sonst um jedes Fußballspiel gemacht hätte, hätten wir alle mehr davon gehabt.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Wie hat sich die Stimmung bei den Studenten an Ihrer Musikhochschule in den letzten Monaten durch die Corona-Krise geändert? Es gibt sicher eine große Unsicherheit beim Blick auf die Zukunft.

Fischer: Ich bin eine extrem schlechte Lehrerin für psychisch problematische Fälle. Ich verstehe nicht, warum jemand Musik studiert, der wahnsinnig nervös wird, wenn er auf die Bühne geht. Da denke ich mir, studier halt etwas anderes. Demzufolge sind in meiner Klasse eigentlich nur Studenten, die psychisch ziemlich stabil sind. Ich nehme niemanden, der berühmt werden möchte.

Was fehlt Ihnen am meisten?

Fischer: Die Konzentration, die zwischen den Musikern auf der Bühne entsteht. Das ist ein ganz anderes Hören, als man es in einer Probe je entwickeln kann. Im Konzert ist man so geschärft, man hat derart andere Antennen. Man hört, als hätte man zehn Dimensionen dazu.