„Serien“ in der Kunsthalle

Warhol hinter verschlossenen Museumstüren in Hamburg

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Wegen Corona kann die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle nur online bewundert werden. Zettel an der Eingangstür verweisen auf die pandemiebedingte Schließung.

Wegen Corona kann die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle nur online bewundert werden. Zettel an der Eingangstür verweisen auf die pandemiebedingte Schließung.

Foto: Andreas Laible / Funke Foto Services

Die Galerie der Gegenwart hat ihre neueste Ausstellung gehängt: „Serien“. Zu sehen sind die ikonischen Popkultur-Hits derzeit online.

Hamburg. Zehn Marilyn Monroes begrüßen mit leuchtenden, taufrischen Siebdruck-Farben. In direkter Nachbarschaft hängt eine Familien-Aufstellung aus „Campbell’s Soup“-Dosen, zum Zugreifen nah und mit ihren diversen Geschmackssorten anders verführerisch, weit entfernt vom drohenden Ablauf eines Mindesthaltbarkeitsdatums. Wenn schon Druckgraphik-Klassiker satt, dann dürfen diese ikonischen Popkultur-Hits von Andy Warhol nicht fehlen. Es geht also schon mal gut los und zieht mit praller Pop-Art-Sinnlichkeit hinein ins Schauwert-Vergnügen. Wird aber noch besser.

In erfrischend epischer Dichte stellt die „Serien“-Ausstellung der Kunsthalle mit dieser Leistungsschau aus den gut gefüllten Beständen ihres Kupferstichkabinetts auch eine fundamentale Frage ans Werk-Verständnis, die sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus unterschiedlichsten Gestaltungs-Richtungen ins Bild drängte: Wann und warum ist ein Unikat ein Unikat – und bleibt es das, obwohl es davon vielleicht 50, 100, 200 oder 250 Exemplare gibt?

Hamburger Ausstellung würdigt handwerkliche Fähigkeiten

Und dazu gesellt sich eine Variation der guten alten Henne-Ei-Problematik: Was ist und wird mit der Aura, jenem mythisch aufgeladenen Aroma des Originals? Und wer ist dann aber der eigentlichere Schöpfer gewesen – der Künstler mit seinem ersten Impuls oder sein Drucker, als letztes, wichtigstes, ausführendes Werkzeug?

Eine osmotische Schicksalsgemeinschaft, die Charakterverläufe können fließend sein und die Egos gleichgroß. Auch das illustriert die Ausstellung in der Galerie der Gegenwart, indem sie die handwerklichen Fertigkeiten der jeweiligen Verfertiger-Werkstätten ebenbürtig würdigen will.

Drucke demokratisierten Kunst-Welt

„Die serielle Ordnung ist eine Methode, kein Stil“, wird der Künstler Mel Bochner am Eingang zitiert. Drucke kommerzialisierten die Kunst-Welt nicht nur drastisch, sie demokratisierten sie ebenso folgenreich, ob nun mit revolutionär anderen Methoden oder dem Rückgriff auf traditionelle Techniken. Da erstaunt es nur bedingt, dass diese Ausstellung zunächst „Warhol und die Folgen“ genannt werden sollte. Kleine Pointe am Rande: Für den Ankauf der „Marilyn“-Siebdruckfolge hatte die Kunsthalle anno 1968 aus heutiger Sicht nicht mehr als lächerliche 3900 D-Mark bezahlt.

Drucke können die Klone einer kreativen Idee sein. Aber: längst nicht immer. Das Genre hat sich im Laufe der Jahrzehnte verfeinert, verästelt, vervielfältigt geradezu. Nicht nur die Materialien, auch die Handhabungen prägten, wie beeindruckend die Ergebnisse ausfielen.

Erzähl-Serien von David Hockney

Diskrete Unterschiede wie das „Ausbluten“ des Farb-Öls ins japanische Okawara-Papier an den Kontrastkanten einer Druck-Serie (1988) von Donald Judd bringen deren Einzel-Charaktere ans Licht. Jeder minimalistische Holzschnitt bis ins letzte Pigmentportiönchen wie der nächste? Von wegen.

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Roy Lichtenstein nummerierte seine farblich variierten „Haystack“-Lithographien, für die Monets „Les Meules“ Modell standen, um für die Nachwelt klarzustellen, was an der Wand wo hingehört. David Hockney dagegen schuf auch Erzähl-Serien wie den Zyklus zu „A Rake’s Progress“ von 1963, seine Hommage an William Hogarth, mit einem Anfang, einer Mitte, einem Ende.

Werke von Josef Albers

Der Komponist, Freidenker und Pilz-Experte John Cage hielt den Umriss-Nachklang von Steinen in einem Tempel in Kyoto als Kaltnadelradierungen auf noblem Papier fest: meditative Kringel, leise und weise in der Anmutung, ein Kalligraphie-Autogramm der zufällig skizzierten Natur.

Doch auch für Freunde des gepflegten kunsthistorischen Pensums hängt Beeindruckendes an den Wänden. Die quadratischen „Hommage au Carré“-Farbverschachtelungs-Paletten des Bauhaus-Klassikers Josef Albers von 1965 verweisen auf schlichte Größen; nahe Verwandte sind Victor Vasarelys „Hommage à l’hexagone“ Siebdrucke von 1969. Nam June Paiks „V-Idea; a priori“-Radierungen (1984) spielen mit dem Klischee des nie schlafenden, immer plappernden TV-Bildschirms. Bruce Naumans „Studies for Holograms“ (1970) verfremdeten seine eigenen Gesichtszüge.

Französisches Eidechsenhautpapier

An Sigmar Polkes „Danneckers Hausgecko“-Lithographien fasziniert nicht nur die Farboberflächengestaltung, sondern auch die Struktur des Fundaments, er hat französisches Eidechsenhautpapier verwendet. Siebdrucke von Dieter Roth zeigen Köln von oben. Für ihre „Tapete für den Öffentlichen Raum“ verwendete Nora Schultz Isomatten als Druckform.

Politisch und anklagend wird es bei Jenny Holzers sechs handgeschöpften Bögen von 2012. Sie gestaltete nahezu sprachlose und dennoch aussagekräftige Vergrößerungen von CIA-Unterlagen, die Waterboarding-Folterungen durch US-Soldaten im Golfkrieg dokumentierten. Blickdichte Texte, den Augen der Welt vorenthalten, die geschwärzten Blöcke wurden aus dem Folterwerkzeug Wasser von Hand geschöpft.

Hamburger Kunsthalle tröstet mit Online-Videos

„Grafik ist eine der folgenreichsten Techniken der Moderne“, betont die Ausstellungskuratorin Petra Roettig, „weil sie so viele erreichen kann.“ Dass ausgerechnet diese hochaktuelle Übersicht über eine epochale Ausdrucksform des 20. Jahrhunderts hinter geschlossenen Türen kontaktlos auf bessere Zeiten abwartet, besuchsbereit und einsam, ist tragisch. Die Online-Videos, mit denen die Kunsthalle zumindest eine Ahnung des Vorenthaltenen abbildet, sind nur ein kleiner Trost.

Zu den letzten, jüngsten Arbeiten, mit denen das „Serien“-Publikum bis zum 15. August verabschiedet würde, gehören die plakativen Oneliner-Farbflächen der Londoner Künstlerin Helen Cammock, die bei den „Shouting in Whispers“ fein gesetzte Lebensweisheiten mit auf den Weg in die Außenwelt gibt: „This is not a love song.“ Oder „I can hear your lament.” Klage angekommen. Kleine Aussagen, große Wirkungen. Beeindruckend, eindrucksvoll, nachdrücklich zu empfehlen. Wenn es – wann auch immer – wieder geht.

Online-Programm: Videos über Drucktechniken und Werkstätten, außerdem Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern, dazu ein Film mit Einblicken in den Ausstellungsaufbau sind auf www.hamburger-kunsthalle.de. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (256 S., 29 Euro)