Hamburg. Ojemine, ist man fast geneigt zu denken. Weil das Museum der Arbeit im Herbst eine Sonderausstellung zeigen will, Titel: „Konflikte“. Dann hoffentlich ohne praktischen Alltagsbezug, also ohne Streit über Inzidenzwerte oder pandemisch bedingte Verlegungen ins Digitale oder Sonderrechte für Museen. Nur mal als Beispiel. In Corona-Zeiten wird ja gefühlt noch mehr gestritten. Auf allen möglichen Niveaus, dem Hochplateau der Wissenschaft und in den Niederungen der Verschwörungstheoretiker. Es ist eine grundsätzliche, bedauernswerte Tatsache, dass das Internet nicht nur die große, segensreiche Vernetzung hervorgebracht hat, sondern auch den digitalen Mob.
Auf diese Feststellung kann man kommen, wenn man sich mit der Schau im Museum der Arbeit beschäftigt. Schon ein halbes Jahr vor deren Eröffnung hat das Museum nun nämlich seinen „Konfliktmonitor“ ins Netz gestellt. Anhand von einem Dutzend Streitthemen, alle von ihnen haben unmittelbar mit Corona zu tun, ermittelt das Museum online ein jetzt aktuelles Stimmungsbild der Gesellschaft, das im Oktober fraglos nur noch einen historischen Wert haben dürfte, zumindest, was die Exaktheit des Meinungsbarometers anlangt. So oder so ist der Konfliktmonitor das bestmögliche Beispiel für die Teilhabemöglichkeit des digitalen Bürgers. Blasen-Alarm hin oder her – wer über ein Museum, und dann auch noch eines der Arbeit, an ein derartiges „interaktives Online Tool“ gerät, wie das Museum sein Angebot im üblichen Internet-Sprech nennt, der ist ad hoc erst mal kein Attila-Hildmann-Fan. Da kann man doch einfach mal mitmachen! Und das haben wir. In Person des Verfassers dieses Artikels.
Konflikte sind im Digitalen zur Problemzone geworden
Kontaktbeschränkungen für alle, oder die Alten isolieren? Klimaschutz – angesichts der Pandemie erst einmal hintanzustellen oder wichtiger denn je? Demonstrationsrecht, zum Beispiel für Kita-Erzieherinnen, in der gegenwärtigen Situation – verhandelbar oder unumstößlich? Das zum Beispiel sind die Fragen, die sich stellen; hinter denen sich potenzielle gesellschaftliche Schlachten verstecken, die geschlagen werden müssen. Oder etwa nicht? Es ist im Hinblick auf die jeweils zwei Klickalternativen noch ein kühles Entscheiden. Was wäre, befände man sich in einem Forum und hätte den jeweiligen Gegner vor der rhetorischen Brust? Geriete man in Erregungszustände? Der Konflikt ist in seiner modern-digitalen Ausformung längst zur Problemzone geworden.
Denkt man, klickt weiter, wundert sich kaum über die Vielzahl an Übereinstimmungen, freut sich aber über die ein oder andere Abweichung. Der Konfliktmonitor teilt nach jeder Antwort mit, wie viele der Teilnehmer sich genauso entschieden haben. 72 Prozent sehen, wie man selbst, Homeoffice als Chance und nicht als Belastung. In der Krise ist nach europäischen und nicht nach nationalen Lösungen zu suchen: Das befürworten inklusive einem selbst 96 Prozent. Ist „gesunder Menschenverstand“ hier eine Kategorie? Sicher nicht generell, womöglich hie und da. Dass bei einem Museum der Arbeit, das Geschichte erklärtermaßen nicht aus Sicht der Elite erzählen will, Leute abstimmen, die bei Fragen wie „Arbeitsschutz – Aufgabe des Staats oder des Arbeitgebers?“ weit überwiegend den Staat in die Pflicht genommen sehen wollen, klingt nachvollziehbar. Ebenso, dass 90 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für Kunst und Kultur als Notwendigkeit und nicht als Luxus-Angelegenheit votieren. Konfliktzonen, die mit Meinungsbildern abgebildet werden sollen, sortieren sich auch danach, wen man fragt. Die Facebook-Freundesliste eines Museums ist, da wagt man sich jetzt nicht zu weit hinaus, Kulturinstitutionen-freundlich.
Mehr als 2400 Menschen haben bereits teilgenommen
Wohin man haltungsmäßig neigt, ist eine Frage der sozialen und manchmal auch der persönlichen, gegenwärtigen Umstände. Hat die Pandemie ein Schlaglicht auf die Gleichstellungsdringlichkeit gelegt, weil es vermehrt Frauen waren, die doppelbelastet den Großteil der Betreuungsarbeit auf sich nahmen? Sollen sie bei Corona-Hilfen besonders berücksichtigt werden? Nö, klickt man mit Blick aufs eigene, männliche Schicksal in den eigenen vier Wänden. Nur 31 Prozent sehen es genauso. Vielleicht Väter mit dem gleichen Schicksal.
Konflikte entstehen, weil man sich selbst der Nächste ist.
Deshalb, und das als Merksatz, dick unterstrichen: Sie kann nie schaden, die „Reflexion des eigenen Konfliktverhaltens“. Zu dem lädt der Konfliktmonitor erklärtermaßen ein. Und das Nachdenken über die eigene Konfliktfähigkeit, die nichts anderes ist als das Aushalten anderer Meinungen, ist sicher ein grundsätzlicher Anspruch, den jeder an sich haben sollte, den aber heute immer weniger Menschen haben. Wo wir wieder in der verwahrlosten Kommunikationskultur des Internets wären.
Das Museum der Arbeit zielt mit seinem Ausstellungs- und Onlineprojekt, so verstehen wir jedenfalls die bisherigen Äußerungen zur kommenden Schau, ganz grundsätzlich auf die Arenen des Streits. Im Arbeitsleben, in der Familie, in der Politik. Auseinandersetzungen in der Partnerschaft werden allerdings mit anderen Waffen geschlagen als die zwischen zwei Staaten, die gegeneinander in den Krieg ziehen. Im Alphabet kommt noch vor „Konflikt“ „Kompromiss“, im wirklichen Leben ist es im besten Fall umgekehrt.
Der Konfliktmonitor ist das Internet-Gimmick für die, die Umfragen mögen und gleichzeitig Lust auf die vom Museum für Arbeit initiierte Metaebene haben. Im Corona-Treibhaus lassen sich derzeit am besten Konfliktlinien offenlegen, weshalb sich bis Sonntag schon mehr als 2400 Menschen an der Aktion beteiligt hatten.
Mitmachen unter www.konfliktmonitor.com, Informationen unter shmh.de/de/konflikt
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