Hamburg. Vielfältiges Programm und freier Eintritt lockten Besucher an. Kunsthalle will öfter Ort der Begegnung und der Diskussion sein.

„Herzlichen willkommen an diesem schönen Tag, den man auch am Strand von Övelgönne verbringen könnte“, begrüßte Alexander Klar die Gäste im Werner-Otto-Saal, der bis auf den letzten Platz besetzt war. Zusammen mit Tulga Beyerle, Direktorin am Museum für Kunst und Gewerbe, Kultursenator Carsten Brosda (SPD) und Florian Illies, Verlagsgeschäftsführer bei Rowohlt, diskutierte der Kunsthallen-Direktor am Sonnabendmittag launig über die Aktualität des Museums. Es ging um Blockbuster-Ausstellungen, den Traumjob des Kuratoren, Kunst und Chaos und die Herausforderung, junge Leute ins Haus zu holen.

„Über Sie mache ich mir keine Sorgen“, schloss Illies die Runde, ans Publikum gewandt, „denn Sie kommen ja auch bei 30 Grad in die Kunsthalle. Doch das Museum muss auch für Jugendliche ein aufregender, attraktiver Ort sein, der bei ihnen auf dem Instagram-Account auftaucht.“ An diesem Wochenende zumindest war die Besuchermischung geradezu ideal: Viele Familien brachten die nächste Museumsgängergeneration im „Hamburger Kinderzimmer“ an den Start. Man sah Schüler, Studenten, größere Freundeskreise, Pärchen jeden Alters, auffallend viele Schwangere und Mütter mit ihren Töchtern durch die Räume flanieren.

Bei molligen Außentemperaturen und angenehmen 21 Grad drinnen fiel die Wahl des Freizeitprogramms wohl kaum schwer. Die von Kunsthallen-Geschäftsführer Norbert Kölle selbstbewusst ausgegebene Marke von 13.000 wurde bei Weitem übertroffen. Knapp 30.000 Besucher strömten am Sonnabend und Sonntag in die Kunsthalle, um bei Musik und geführten Touren den 150. Geburtstag des großen Kunstmuseums zu feiern. Zum Vergleich: Zur Wiedereröffnungsfeier 2016 kamen rund 20.000 Kunstinteressierte.

Viele Besucher kamen, um den „Wanderer“ einmal zu sehen

Alexander Klar erkundigte sich eifrig bei seinen Kollegen am Einlass, wie viele Gäste sie denn aktuell per Ticker gezählt hätten. „Ich bin total begeistert über diesen Publikumszuspruch. Trotz der vielen Besucher kollabiert das Haus nicht. Denn auch, wenn wir dem Mythos von der Schlange nachhängen – wer möchte schon gern vor einem Kunstwerk anstehen?“

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Sowohl der freie Eintritt am gesamten Wochenende – ermöglichst durch die Freunde der Kunsthalle – als auch das vielfältige Programm rund um Ausstellungen wie „Rembrandt“, „100 Jahre Hamburgische Sezession“ und „Im Licht des Nordens“ lockten die Besucher an. Foodtrucks auf dem Außengelände versorgten die Kunstbegeisterten mit Holy Dogs, Rolled Ice und kühlen Getränken.

Besonders begehrt waren die Führungen zur Geschichte des Hauses sowie die „Highlights der Kunsthalle“. Allen voran natürlich der „Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1817) von Caspar David Friedrich, das Gemälde, mit dem das Museum intensiv wirbt. Julia Wegerhoff (18) aus Münster und Aline Auffahrt (19) aus Delmenhorst waren extra deswegen an den Glockengießerwall gekommen. „Wir wollten uns endlich den berühmten ‘Wanderer’ live ansehen. Ich studiere demnächst Jura an der Bucerius Law School und wollte meiner Freundin schon mal die Stadt zeigen“, sagte Aline Auffahrt. „Die Kunsthalle mit ihrer imposanten Treppe gehört natürlich dazu.“

Szenische Lesung im Negligé bekommt Applaus

Franziska Kanis (40) und Stefan Pollandt (41) waren mit ihren Töchtern Hanna und Paula (5 und 7) bei der „Familienzeit in der Sammlung“ dabei: „Die Führung ‘Gedeckte Tische und Geburtstage’ hat den beiden großen Spaß gemacht. Und sie haben noch ein bisschen mehr Hintergrund zu den Bildern bekommen, als wenn wir nur durch die Ausstellung gehen“, sagte der Familienvater. „Durch das Malen und Raten verging die Stunde wie im Flug.“

Für die „Stammgäste“ des Hauses, Sigrid (81) und Ingobert Schmidt (83), war das Jubiläumsfest eine schöne Gelegenheit, die kostbare Sammlung um Max Liebermann, Otto Philip Runge, Jean-Baptiste Corot und Co. mal wieder genauer zu inspizieren. „Wir sind selbst Kunstsammler und Freunde des Kupferstichkabinetts“, erzählte der gebürtige Stuttgarter und Wahl-Hamburger. „Ich finde, dass die Sammlung des 19. Jahrhunderts noch nie so schön hing wie jetzt!“

Vor einem dieser Kunstwerke, der „Nana“ von Edouard Manet aus dem Jahr 1877, gab das Schauspielerehepaar Dorothea und Michael Lott eine szenische Lesung mit Musik unter dem Titel „Anziehende Blicke oder was ist Kunst?“. Vor dem Hintergrund der jungen, halb bekleideten Dame im Boudoir spielte Frau Lott im Negligé die Muse Pauline, die den altersschwachen, aber nicht minder lüsternen Maler Paul Degas inspirieren will, was das Publikum mit vielen Lachern und langem Applaus belohnte.

Eingang zur Galerie der Gegenwart war extra geöffnet

Was ebenfalls positiv aufgenommen wurde: Der Eingang zur Galerie der Gegenwart war auf Anordnung des Direktors extra für das Festwochenende geöffnet worden; die Besucher konnten also direkt von der Plaza hineinspazieren (normalerweise muss man durch den Eingang des Restaurants The Cube eintreten und bei einem Pförtner klingeln). Welch großartige Sammlung sich im Bau von Oswald Mathias Unger im wahrsten Sinne des Wortes verbirgt!

Allein Richard Serras aus Schrott gegossenes Werk „Measurements of time“ (1996) regte die Besucher zu Diskussionen an. Man staunte über Jannis Kunellis’ exakte Regalanordnung der „Rußspuren“ von 1984 und lauschte der abenteuerlichen Geschichte über Joseph Beusts Flugzeugabsturz und seinem vermutlich daraus resultierendem Faible für Fett, Filz und Honig, verdinglicht im grauen „Filzanzug“ von 1970.

All diese Geschichten hinter den Kunstwerken und noch viel mehr galt es an diesem Wochenende zu entdecken. Dazu gehört die kleine, aber feine Ausstellung „Kunst in Hamburg“, die im Wechsel norddeutsche Porträt- und Landschaftsmaler präsentiert, aktuell vertreten durch die Mitglieder des 1897 gegründeten Hamburgischen Künstlerclubs Arthur Illies, Ernst Eitner, Julius von Ehren und Thomas Herbst sowie Arthur Siebelist, dem Gründer der Hamburger Malschule. „Meine Schüler und ich“ von 1902 ist eins der eindrucksvollsten Gemälde dieser Ausstellung. Um nichts weniger als Identität und Heimat ging es diesen Künstlern, was sie um so spannender für die heutige Zeit macht.

Im Café Liebermann hingen Regenschirme von der Decke

Laut Alexander Klar soll die Kunsthalle künftig viel öfter Ort der Begegnung und der Diskussion sein, also über seine Kernaufgaben Sammeln, Forschen, Bewahren, Vermitteln hinausgehen: „Ich möchte, dass wir über Kunst ins Gespräch kommen: von der Kunst zur Politik und von dort zur Philosophie.“

An diesem Wochenende hat die Kunsthalle wieder einmal bewiesen, dass sie auch ein Ort zum Feiern ist: Die Plaza, die sich zur Mittagszeit in eine Kochplatte verwandelt hatte, wurde zum Abend hin von Tangotänzern erobert, während drinnen die Jungen Freunde der Kunsthalle zur „All Stars“-Party bei Musik von den Discjockeys Max Wedekämper und Lennart Henze luden. Und so, als hätten sie es schon geahnt, hingen schwarze Regenschirme mit Lametta von der Decke des Café Liebermann.

Die Museumsleute und die von Kunst beseelten Besucher waren wohl eine der wenigen, die sich über den prognostizierten und ab Sonntagmittag tatsächlich einsetzenden Regen freuten.