Hamburg. Volle Härte Frauenknast. Oder: Haftstrafe ist, wenn man wie Bodensatz behandelt wird. Wenn man sich untereinander an die Gurgel geht und von den Aufpassern nicht viel mehr als den Elektroschocker zu erwarten hat. Rachel Kushners neuer, jetzt auf Deutsch erscheinender Roman „Ich bin ein Schicksal“ ist ein grobes, ein einigermaßen explizites Buch.
Es beginnt mit einem Gefangenentransport mitten in der Nacht. 60 Delinquenten werden aus dem Untersuchungsgefängnis in die mehr als nur temporäre Verwahrungsanstalt gebracht. Sie sind gefesselt, bei manchen rasseln, Tatsache, die Ketten. Archaische Zustände im dritten Jahrtausend nach Christus, in der die Gesellschaft ihre schwarzen Schafe wegsperrt und von ihrem Anblick auf keinen Fall behelligt werden möchte. Deswegen die kalifornische Nachtfahrt. Hier befinden wir uns: an der Pazifikküste, im Central Valley.
Die Frauen werden nach Stanville gebracht, in die Women’s Correctional Facility. Wobei das mit dem Korrigieren so eine Sache ist. Das hier, das sind die ganz schweren Fälle. Romy Hall, die dunkle Heldin in „Ich bin ein Schicksal“, hat zweimal lebenslänglich bekommen. Sie hat einen Stalker erschlagen. Benannt ist Romy, die Tochter einer deutschstämmigen Mutter, nach einer berühmten deutschen Schauspielerin. Aber Romys Leben ist wenig glamourös. Sie nimmt früh Drogen, kommt früh auf unangenehme Weise mit Sex in Berührung. Und so landet sie dann im „Mars Room“, einem Striplokal. Kushner, die 1968 in Oregon geborene und an der Westküste aufgewachsene US-amerikanische Starautorin, betreibt in ihrem Roman viel Aufwand, um das Schicksal ihrer Protagonistin zusammenzusetzen.
Es ist eine Geschichte des gesellschaftlichen Zerfalls
Sie kehrt aus der Gefängnis-Tristesse immer wieder zur Vorgeschichte Romy Halls zurück. Dabei leitet diese Vergangenheit die spätere Inhaftierung quasi ganz logisch ein: Die Biografie der unter wenig behüteten Umständen Aufgewachsenen war von Anfang an verdorben. Und so erzählt der Roman, indem er neben Romy etliche andere Figuren gesellt, die ähnlich deklassiert waren, um dann kriminell zu werden, eine Geschichte des gesellschaftlichen Zerfalls unter der ewigen Sonne: California Noir.
Es sind dramatische Vorfälle und moralische Verkommenheiten, die in den Unterschichtsexistenzen zutage treten, die Kushner in ihrem schnörkellos geschriebenen dritten Roman versammelt. Es gibt eine Kindsmörderin, eine männerfixierte Kettenmörderin und einen korrupten Bullen, der ebenfalls mehrfach zum Mörder wird; und es gibt die Gender-Girls. Eine ist so männlich, dass sie schon mal irrtümlich im Männergefängnis landete. Und eine andere wurde als Mann geboren. Überhaupt ist „Ich bin ein Schicksal“ sehr zeitgeistig.
Das Innenleben eines Gefängnisses ist ein beliebter Erzähltopos, man denke an die TV-Serien „Oz“ und „Orange Is The New Black“, wobei, was den Vergleich mit letzterem Netflix-Hit angeht, vor allem die vollkommene Humorlosigkeit von „Ich bin ein Schicksal“ auffällt.
Starker Anfang mit einem schwachen Ende
Der größere Teil des von Kushner etwas schematisch bewältigte Stoff spielt sich in Justizvollzugsanstalten ab. Es sind die stärksten Teile eines insgesamt keineswegs überzeugenden Buchs. Seit ihrem Roman „Flammenwerfer“ gilt Kushner als heißes Literatur-Eisen; gerecht wird sie dem frühen Lob diesmal nicht. Wenn er den Knastalltag mit selbstgebranntem Fusel, die absurde Rohrpost der Insassinnen oder die permanente körperliche und seelische Brutalität beschreibt, vermag der Text auch seinen Reiz zu entfalten. Aber schon die Figur des Gordon Hauser, eines Sozialarbeiters, der noch nicht abgestumpft ist von den entwürdigenden Zuständen, ist wenig überzeugend. Nicht, weil sein zwischen Nähe und Distanz wechselndes Verhalten nicht nachvollziehbar wäre. Er ist bemüht, den Insassinnen, die seinen Unterricht besuchen, Respekt entgegenzubringen, aber er spürt einen inneren Widerstand, sich auf Romys Bitten hin auf die Suche nach ihrem kleinen Sohn Jackson zu begeben, der in einer Pflegefamilie lebt.
Nein, es liegt am Überbau, den Kushner ihrem Stoff zu geben sucht. Da muss Hauser eine Hütte in freier Wildbahn beziehen. So wie einst vor ihm Thoreau, der Säulenheilige der amerikanischen Naturphilosophie. Aus dessen Werk „Walden“ wird in Kushners Roman ausführlich zitiert. Wir haben verstanden: Das Leben in der Natur ist das freieste überhaupt, und das Gefängnis ist der negative Endpunkt der Zivilisation.
So ist „Ich bin ein Schicksal“ ein Roman, der stark beginnt, um umso stärker nachzulassen. Es scheint so, als habe Kushner für ihren auch so ganz von den Figuren lebenden Stoff keinen rechten Fortgang der Handlung gefunden. Kushner dekliniert die verschiedenen Schicksale durch. Die, die schließlich doch rauskommt, die, auf die der elektrische Stuhl wartet; und die, der schließlich der Ausbruch glückt. Der Stoff zerfasert, so wie sich die Wege der Gefangenen trennen. Insofern immerhin konsequent.
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