Hamburg. Eine Kneipe namens „Der Totschläger“: klingt einladend. Emile Zola beschrieb den Absturzschuppen in seinem 1877 erschienenen Roman „L’Assommoir“, auf Deutsch zunächst allzu eindeutig als „Die Schnapsbude“ übersetzt. Tatsächlich bezieht sich der Titel auf Schläge in den Nacken, erklärt Franck Edmond Yao und kippt pantomimisch ein paar Kurze. Und dann fahren elektronische Beats auf ihn nieder, schütteln seinen massigen, trainierten Körper. Nackenschläge. „Alkohol ist ein Monster!“ ruft Yao, und er hat ja Recht, aber so, wie er das ruft, weiß man nicht: Spricht hier ein Abstinenzler oder jemand, der das Monster in selbstzerstörerischer Lust willkommen heißt? Und noch ein Schlag.
Choreograf Yao und Regisseurin Monika Gintersdorfer machen mit ihrer multinationalen Gruppe La Fleur „getanzte Literatur“. Was man nicht als Handlungsballett missverstehen sollte: Zuletzt näherten sie sich mit „Die selbsternannte Aristokratie“ Balzacs „Das Mädchen mit den Goldaugen“ und mit „Nana ou est-ce que tu connais le bara?“ Zolas „Nana“, jeweils als Dekonstruktionen der Vorlage, auf ihren in erster Linie ökonomischen Kern. Der dann zu einer ganz eigenen, hochästhetischen Kunst zwischen Tanz, Musik, Analyse und Theater wurde.
Geschichte eines Paares, das an Gewalt, Armut und Alkohol zugrunde geht
Bei „Körper als Unternehmen“ auf Kampnagel ist die Basis also Zolas „Der Totschläger“. Erzählt wird die Geschichte eines Paares, das aus der Provinz ins lebenslustige Paris flieht, dort ein paar Jahre fröhlich im Geschehen mitspielt und dann an Gewalt, Armut und Alkohol zugrunde geht. Yao und Gintersdorfer interessiert dabei nicht der moralische Gehalt des Stoffes, sondern die Frage: Was sind das für Strukturen, in denen die Figuren handeln? Welche Codes sind zu beachten? Es geht auf den Markt im Pariser Viertel Chateau Rouge, wo klandestiner Handel betrieben wird. Man sieht kleine Choreografien, die man nicht versteht: eigenartige Begrüßungsrituale, Tänze, angedeutete Kämpfe. Show. Einmal beschreiben Gintersdorfer und Tänzer Carlos Martinez Velazquez die Kneipe Hansatreff in St. Georg. Auch hier Codes, die unverständlich bleiben: Ist der Typ in der Ecke nett, oder provoziert er? Es ist ein Spiel, aber es ist ein gefährliches Spiel.
Wie oft bei La Fleur findet der Abend keinen befriedigenden Schluss. Cora Frost nuschelt den Zola-Roman zu Ende, dann werden die Boxen aufgedreht, die Beats bollern los: Party! Und der Alkohol schlägt einem in den Nacken.
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