Hamburg. Gänserupferinnen, Büglerinnen, Parkettabzieher, Ährenleserinnen – das, was Porträtisten des 19. Jahrhunderts wie Max Liebermann und Edgar Degas mit Öl auf Leinwand brachten, scheint für uns Lichtjahre entfernt. Solch mühsame Arbeiten erledigen längst Mähdrescher und andere Maschinen, die der Mensch geschaffen hat, um sich das Leben Stück für Stück zu erleichtern. Im Internetzeitalter scheint der Mensch nun selbst ein Auslaufmodell zu werden: Roboter fahren Pakete aus, in Möbelhäusern sitzen keine Kassierer mehr, zu Hause spricht man lieber mit Siri als mit dem Ehemann.
Wie groß ist da die Verlockung, den eigenen lästigen Job am Fließband oder im Büro abzugeben? Abwesenheitsnotiz und Urlaub für immer, finanziert durch ein Grundeinkommen?
„Für die einen ist diese Vorstellung ein Traum“, sagt Daniel Opper vom Bucerius Lab der "Zeit"-Stiftung. „Für die anderen ist sie ein Horrorszenario. Die Arbeit hat sich seit der Automatisierung in Wellenbewegungen revolutioniert. Gerade jetzt stehen wir vor einer erneuten Veränderung mit großer Wucht.“ Gemeint ist die Künstliche Intelligenz (KI).
Geldverdienst? Arbeit gibt Struktur und Status
Höchste Zeit, um über unsere Vorstellungen von Arbeit zu sprechen. Denn Arbeit ist in unserer Gesellschaft viel mehr als ein Geldverdienst; sie gibt Struktur, Sicherheit, Status. Sie geht jeden an. In den kommenden zehn bis zwanzig Jahren sind fast die Hälfte aller Berufe bedroht, weil demnächst selbst lernende Maschinen die entsprechenden Aufgaben besser, schneller und günstiger erledigen können. Betroffen sein werden nicht nur manuelle Tätigkeiten, sondern auch „Kopfarbeit“.
Es war die Studie der Wissenschaftler Carl Frey und Michael Osborne aus dem Jahr 2013, die diese Zahlen hervorbrachte und den Anstoß für eine Ausstellung gaben, „die keine Ängste schüren, sondern vielmehr Möglichkeiten zeigen will“, so Kurator Mario Bäumer. Zusammen mit Daniel Opper und Direktorin Rita Müller entstand „Out of Office – Wenn Roboter und KI für uns arbeiten“ im Museum der Arbeit. Die zentrale Frage lautet: Was kann der Mensch besser als die Maschine, und wie können wir Maschinen für uns nutzen? „Wir können die Zukunft nicht vorhersehen“, sagt Rita Müller, „aber wir können sie mitgestalten.“
Idee-O-Meter und Unterhaltung mit einem Roboter
Mitmachen sollen auch die Besucher der Ausstellung. Sie können am Idee-O-Meter ihre Meinung äußern zu Fragen wie „Sollen wichtige gesellschaftliche Entscheidungen auch künftig nur von Menschen übernommen werden?“ oder in den Stellenanzeigen der Zukunft stöbern. Sie können sich mit dem Roboter Nao unterhalten, tanzen und Fußball spielen oder mit der Therapierobbe Paro kuscheln – ein programmiertes Felltier, das Demenzkranke zum Sprechen animiert.
An einer Bildschirm-Station schlüpft eine Schauspielerin mal in die Rolle einer Pädagogin, mal in die eines Rechtsanwalts oder berichtet aus ihrem Alltag als Kassiererin – allesamt Berufe, die sich mit zunehmender Digitalisierung stark verändern, wenn nicht sogar auflösen werden. Unweigerlich stellt man sich die Frage: Möchte ich, dass mein Kind von einem Roboter betreut wird? Brauche ich beim Einkaufen soziale Kontakte? Und sollte ich zum Software-Entwickler umschulen, wenn in Deutschland 45.000 Stellen unbesetzt sind?
Was den Menschen vom Roboter unterscheidet – noch
Der letzte Ausstellungsraum zeigt, zu welchen kreativen Leistungen Maschinen heute schon fähig sind: eine Melodie, die an eine Bach-Sonate erinnert, ein Gedicht der KI Tunnel 23, das einem Schiller-Werk zum Verwechseln ähnlich klingt, ein impressionistisches Gemälde, darauf ein Roboterarm – es heißt „Selbstporträt“.
Wenn im Science-Fiction-Kino dann noch die US-Serie „West World“ läuft, in der menschenähnliche Roboter drohen, die Überhand zu gewinnen, wird einem schon mulmig. Schafft sich der Mensch am Ende doch selbst ab? Was ist es, das uns von Maschinen unterscheidet? „Es sind neben der Kreativität vor allem Empathie und die Fähigkeit, soziale Beziehungen einzugehen“, so Mario Bäumer. „Wir sollten uns darauf zurückbesinnen. Denn das ist es, was uns Menschen ausmacht.“
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Museum der Arbeit: Out of Office
„Out of Office“ 7.11. bis 19.5.2019, Museum der Arbeit (U/S Barmbek), Wiesendamm 3, Mo 10.00-21.00, Mi-Fr 10.00-17.00, Sa/So 10.00-18.00, 8,50/5,- Euro, unter 18 J. frei.
Das Eröffnungsfestival am 10. November führt mit Robotern, Virtual Reality, Spielen, Workshops und Vorträgen, Filmen und mehr in die Ausstellung ein. Neben den Sonntagsführungen (12-13 Uhr) gibt es fortlaufend Vorträge und Diskussionen, etwa am 19.11. zum Thema „Künstliche Intelligenz und Robotik: Von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Wünschen“ oder am 10.12. zu „Viel Zeit für Nichts? Utopien der Muße und Faulheit“.
Darüber hinaus werden Filme gezeigt und über die Zukunft des Musikmachens diskutiert. Am 25.1.2019 können Schüler beim „Yojo Talent Day“ ihre berufliche Perspektive herausfinden, am 28.1. wird ganz generell über „Arbeit der Zukunft oder Zukunft ohne Arbeit“ informiert und gesprochen. Alle Termine unter www.outofoffice.hamburg
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