Hamburg. 180 Millionen verkaufte Bücher. Übersetzungen in 51 Sprachen. 450 Wochen in der Bestsellerliste der „New York Times“. Jeff Kinney ist ein Superstar. Und ein Held der Acht- bis Zwölfjährigen, die seine Comic-Romane geradezu verschlingen. „Gregs Tagebuch“ heißt die Erfolgsserie des Amerikaners, in der gerade Band elf erschienen ist. Mit zeichnerisch eher simplen Cartoons durchwirkte Kindheitserlebnisse eines Jungen, der mal an seinem fiesen großen Bruder verzweifelt, mal die Eltern in den Wahnsinn treibt. Sehr kurzweilig, ziemlich amüsant, verfasst von einem längst millionenschweren Autor, der uneitler kaum sein könnte.
In verwaschener Jeans und luftig-bequemem Hemd kommt Jeff Kinney zum Interview im Hotel Atlantic und freut sich schon sichtlich auf die Laeiszhallen-Lesung, die in einer Stunde beginnt. Der Mann liebt den Kontakt zu seinen kleinen Fans. Sich abkapseln, im Luxus schwelgen, kommt für ihn nicht infrage. Dass er sich ums Geld schon lange keine Sorgen mehr machen muss, spiele für ihn nur eine Nebenrolle, sagt er.
Angefangen habe er vor 18 Jahren mit „Gregs Tagebuch“ als eine Art Therapie, um sich durch regelmäßige Eintragungen von seiner Videospielsucht zu heilen. Über die Jahre wurde ein komplettes Buch mit Kindheits- und Jugenderinnerungen daraus, das 2007 in den USA einen Verleger fand und aus dem Stand die Bestsellerlisten stürmte. Im Jahrestakt legte Kinney nach, verkaufte die Filmrechte und ist längst auch für Baumhaus, seinen deutschen Verlag, eine Goldgrube.
Elf Bände – kommt da nicht Langeweile auf? Macht es überhaupt noch Spaß, sich Stories auszudenken? Kinney lächelt versonnen und schwärmt davon, welch privilegiertes Leben er dank seiner Bücher führe. „Ich reise um die ganze Welt, bin schon ins Weiße Haus eingeladen worden“, sagt er. Außerdem habe er sich mit dem eigenen Buchladen in seiner Heimatstadt Plainville (Massachusetts) einen Traum erfüllt: „Wie könnte ich mich da beschweren?“ Außerdem spüre er die Verantwortung für seine jungen Fans. Die wollen immer mehr von Greg, diesem liebenswerten Loser, lesen. „Sie darf ich doch nicht enttäuschen.“
Auch in Brasilien, China und Indien hat Kinney viele Fans
Also macht Kinney weiter, erfindet immer neue Geschichten, die er sich bisweilen schwer erarbeiten muss. Ob lange Spaziergänge oder stundenlange Bäder in der heißen Wanne: „Manchmal ist die Schreibblockade zu Hause einfach nicht zu überwinden.“ Dann verlasse er seine Frau und die beiden Kinder für ein paar Tage, reise etwa nach Island, um in der Einsamkeit den Durchbruch zu schaffen.
Vier bis fünf Monate arbeitet der 45-Jährige in der Regel an einem seiner Bücher, wenn es in die Zielgerade geht, 15 Stunden am Tag. Nicht nur in seiner Heimat und in Deutschland hat er damit Erfolg, auch in China und Indien, in Israel und Brasilien ist die Begeisterung groß, wenn ein neues „Tagebuch“ veröffentlicht wird. Die prä-pubertären Gefühlslagen scheinen sich in großen Teilen der Welt kaum zu unterscheiden. Nervige Lehrer, die mit Hausaufgaben quälen, und überfürsorgliche Eltern, die auf furchtbar gesundes Obst als Zwischenmahlzeit bestehen, gibt’s eben überall.
Kinney ist ein Star ohne Allüren
Natürlich auch in Hamburg wo einige Hundert Jungs und Mädchen in die kleine Laeiszhalle gekommen sind, um ihren Lieblingsautoren einmal live zu erleben. Viele haben „Alles Käse“, so der Titel von Band elf, dabei, und während die begleitenden Eltern verstohlen im Smartphone-Liveticker die erneute Niederlage des HSV verfolgen, trampelt und klatscht die Zielgruppe begeistert, als Jeff Kinney die Bühne betritt. Der beantwortet in der Folgezeit viele Fragen, etwa nach dem Alter seiner Söhne (11 und 13), seinem Lieblingsbuch („Harry Potter“) und der Anzahl bislang bereister Länder (23). Ein wenig wird gelesen und live gezeichnet, noch wichtiger aber ist die Signier- und Selfiestunde, die sich anschließt.
„Jeff ist mein Lieblingsautor“, gesteht die Verlagsmitarbeiterin mit einem Lächeln. Ohne zu murren unterschreibe er auf jedem Blatt Papier, das ihm hingehalten werde, auf jedem Schulrucksack. Das sei keineswegs bei allen Autoren so. „Und wenn ein Kind sichtlich zu schüchtern ist, um nach einem Selfie zu fragen, übernimmt Jeff die Initiative.“
Kinney ist eben kein Autor wie alle anderen, schon gar kein Star mit Allüren, sondern eher der Typus netter Nachbar mit kindlicher Begeisterungsfähigkeit. Die zeigt sich auch, als im Interview das Gespräch auf seine eigene erste Comic-Erfahrung kommt. „Donald Duck habe ich immer geliebt“, sagt Kinney. Ganz besonders die Geschichten des legendären Carl Barks. Dann schnappt er sich sein leicht verschrammtes Smartphone und zeigt ein Foto. Barks ist darauf zu sehen, der gerade eine große Dagobert-Duck-Bronzefigur signiert. „Die steht jetzt in meinem Büro“, erzählt Kinney und strahlt. Billig war die nicht, klar, aber für einen Fan wie ihn jeden Dollar wert.
Als eine der „100 einflussreichsten Personen der Welt“ listete ihn schon vor Jahren das amerikanische „Time Magazine“. Unter den Acht- bis Zwölfjährigen dürfte Jeff Kinney sich längst in die Top fünf vorgearbeitet haben. Und in Hamburg ist er an diesem trüben Sonnabendnachmittag sogar die unangefochtene Nummer eins.
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