Hamburg. Nein, die Schuhe könne man anbehalten, sagt der Hausherr, man müsse ja nicht unbedingt auf seinen Gebetsteppich treten. Er lacht.
Der Gebetsteppich liegt im Wohnzimmer, hier gibt es noch einen Fernseher und viele Bücher. Draußen, auf dem Balkon mit Blick in Richtung Stadtpark, ist es grün, grün, grün, er hat einen kleinen Nutzgarten angelegt.
Das Zuhause von Peter Schütt, gelegen in Winterhude. Schütt (76) ist ein feiner, freundlicher Mann, nicht sonderlich groß gewachsen. Groß waren allerdings einst seine Ideale, sie sind es teilweise immer noch. Schütt, Autor, Lyriker, Schriftsteller, Journalist, Literatur-vermittler, ist das, was man einen Alt-Linken nennt.
Politiker ist er gewesen in der DKP, der Deutschen Kommunistischen Partei. Spät sagte er sich vom Kommunismus los, um kurze Zeit später, 1990, zum Islam überzutreten. So hat er dann beides gehabt, die Ideologie und die Religion. Zwei Ideen, zwei unterschiedliche intellektuelle, moralische Behausungen, der Mensch ist immer auf der Suche. Und er ist als Einzelner unter vielen ein soziales Wesen. Vielleicht besonders, wenn man mal an den Kommunismus glaubte. Schütt, 1939 in Basbeck an der Niederelbe geboren, ist seit 2003 unglaubliche 400 Mal Gastgeber der „Waschhauslesungen“ gewesen.
Das „kleinste Literaturhaus Hamburgs“ habe der Chef vom großen Literaturhaus am Schwanenwik, Rainer Moritz, das Waschhaus mal genannt, erzählt Schütt. Den man genau wegen dieser persönlichen Literaturförderung – ohne Geld aus der Kulturbehörde! – an der Basis, den man wegen seines ereignisreichen Lebens und seiner wechselnden Überzeugungen nun einfach mal besuchen muss. Was für eine Biografie!
Aber wo anfangen? Vielleicht bei einer Einschätzung, die ihm nur so halb schmeichelt, die er aber bereitwillig mitteilt. Das sagt viel über Schütt aus. Er werde, erklärt er also, von manchen alten Weggefährten wahrscheinlich als „liebenswerter Spinner“ gesehen.
Man kennt sich ja noch aus gemeinsamen Zeiten im roten Eppendorf, wo all die linksbewegten Weltverbesserer, die sich bisweilen auf der Hatz nach der gerechteren Gesellschaft ziemlich vergaloppierten, bis in die Achtziger hinein lebten. Es waren andere Zeiten, aber selbst ein Alt-Linker stutzt wohl immer noch, wenn er sich Schütt nun in der Moschee vorstellt.
Dabei war Schütt ja schon zu Polit-Zeiten religiös, er wurde irgendwann Katholik. Wegen seiner Wandlungen nannte man ihn mal kritisch einen „ewigen Konvertiten“, mal – Donnerwetter, was wurde da ausgeteilt – „einen Parasiten der Perestroika“, einen „literarischen Wadenbeißer“. So beschimpfte Wolf Biermann, der einst aus der DDR ausgewiesene Liedermacher, der selbst zwischen den Welten gependelt war, Schütt 1989, ein paar Monate vor der Wende, in einer Tirade in der „Zeit“.
Und wie ist so einer heute, der die Gemüter erhitzte, weil er sich selbst für die Sache, die er verfocht, erhitzte?
Er ist ein zurückhaltender, vorsichtiger Mann, dessen Bescheidenheit sich in der Bescheidenheit der kleinen Saga-Wohnung spiegelt, die er seit Ende der Neunzigerjahre bewohnt. Schütt („Verbohrt bin ich ohne Zweifel gewesen“) ist jemand, der sich in dem, was er sagt, nicht zu sehr exponieren will; er hat in seinem Leben etwas über die (Un-)Haltbarkeit von Überzeugungen gelernt. Und so erinnert er sich zwar an alte Verletzungen, freilich ohne je an Revanche zu denken. Es ist wohl eine milde Verwunderung, so hat es den Anschein, die sich Schütts bemächtigt, wenn er heute an Biermann denkt. Den Biermann, der, wie Schütt sagt, ganz früher auch freundliche Worte über ihn verloren hatte und der wahrscheinlich immer noch eher unversöhnlich ist.
Der in Schweden geborene Journalist Lasse Bremsteller will eine Doku über Schütt drehen, wie Letzterer eher beiläufig erzählt. Man springt ja ohnehin in diesem Gespräch von einem zum anderen. Vom Glauben zum Nicht-mehr-Glauben, vom IS zur unpolitischen Haltung der eigenen Kinder (Sohn Rubin ist 26, Tochter Daria 21), die ihrem Vater „wohlgesonnen“ sind, wie Schütt sagt, seine einstigen und heutigen Kämpfe allerdings, wenn es sie denn noch gibt, belächeln.
Peter Schütt, der Mann, der aus einem so hochtourig ideologischem Zeitalter stammt und nach seiner langen, langen Polit-Phase Muslim wurde, ausgerechnet Muslim, muss man fast sagen – dieser Peter Schütt ist natürlich ein Mann, der sich für ein dokumentarisches Filmporträt eignet. An wem ließe sich besser zeigen, dass man nicht mit dem Strom schwimmen muss?
Der Kommunismus, die gescheiterte Vorstellung von den gleichen Lebensumständen. Sie war ja immerhin mal fast Mainstream, der Islam war es nie und wird es aller Paranoiker zum Trotz auch nie sein. Aber beide, der Kommunismus und der Islam, sind im Westen immer wieder Verdächtigungen ausgesetzt. Der eine ist mehr noch als der andere das Fremde, wenig Verstandene geblieben, allen Multikultiträumen zum Trotz.
Kürzlich saß Schütt im Bus, er befand sich auf dem Weg in die Moschee, als eine ihm unbekannte Dame ihn ansprach. „Sie kenne ich!“, sprach sie, und weiter: „Sie grapschen Frauen an!“. Schütt kann darüber lachen, obwohl nach der Hamburger Silvesternacht muslimische Männer sich bisweilen in Grund und Boden schämten.
Schütt selbst ist nicht schamerfüllt, wenn er auf sein Leben zurückblickt. Vor einigen Jahren hat er, der in kleinen Verlagen veröffentlicht, seine Autobiografie „Von Basbeck am Moor über Moskau nach Mekka – Stationen einer Lebensreise“ vorgelegt.
Er schreibt darin auch über seine Liebesbeziehung mit der Schriftstellerin Ulla Hahn. In den Siebzigern seien sie wohl „so etwas wie das Traumpaar der DKP“ gewesen – und hätten den Ehrgeiz gehabt, „im brechtschen Sinne Liebe und Arbeit, Sexualität und Solidarität miteinander zu verbinden“. Das Buch ist eine Zusammenschau seiner Aufbrüche und Abbrüche, manchmal durchaus mit Pathos geschrieben.
Im Gespräch ist davon nichts zu spüren. Relativismus ist nicht die schlechteste Erscheinungsform des Alters. Schütt, der 1968 die „Hamburger Werkstatt freier Autoren“ mitgründete und noch in den Achtzigern die „Werkstatt schreibender Arbeitsloser“ leitete, würde sich heute auch von manchem, was er früher an theoretischen Literaturvorstellungen hatte, distanzieren. Die Idee, dass Arbeiter für Arbeiter über ihr Arbeiterleben Arbeiterliteratur schreiben, war immer schon hanebüchen, sie ist gottlob schon lange im Kulturmüll der Geschichte gelandet.
Zu den Waschhauslesungen kommt die Nachbarschaft
Aber dass Literatur keine elitäre Angelegenheit ist, dafür liefert Schütt, der einst über den Barockdichter Andreas Gryphius promovierte, seit vielen Jahren Woche für Woche den Beweis. Zu den Waschhauslesungen kommt ein treues Publikum, das zu einem Gutteil aus der Nachbarschaft besteht. Dort leben vor allem Deutschtürken und Deutschafghanen. „Vielleicht locken sie besonders Kaffee und Kuchen“, sagt Schütt nur halbernst und im Bewusstsein dessen, dass das Waschhaus, das einst abgerissen werden sollte und dann von einer Bürgerinitiative gerettet wurde, ein vorzüglicher Bürgertreff ist. Er ist das Zentrum der Siedlung.
Schütts Autorenwerkstatt findet unabhängig von den Lesungen statt, zu ihr kommen Hobby-Schriftsteller. Manche von ihnen haben auch schon Bücher veröffentlicht, und in zweien tauchen sie alle auf: „Stadtpark – mon amour“ heißen die sich gerade in Winterhude gut verkaufenden Kompendien, in denen die Werkstatttexte versammelt sind.
Schütt, seit Langem in der Patriotischen Gesellschaft und dem Stadtparkverein aktiv, liebt die riesige Grünanlage vor seiner Haustür und die kleine auf seinem Balkon. Und so kommt es, dass der Mann, der früher die Diktatur des Proletariats wollte und der, wenn er täglich gen Mekka betet, in den Stadtpark blickt, so kommt es, dass dieser Mann sich heute lieber um sein Gärtchen kümmert als um die Revolution.
In der orientalischen Welt ist er allerdings ein gern um Rat gefragter Interviewpartner, wenn es darum geht, den Menschen im Nahen Osten Kanzlerin Angela Merkel zu erklären. Im Bus, als ihn die empörte Mitbürgerin anging, hatte er übrigens das bessere Ende für sich: Grapschen, er? „Bestimmt nicht bei Ihnen!“, antwortete er schlagfertig.
Schütt lacht, und selbiges taten die anderen Fahrgäste im Bus.
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