Kino

Wo James draufsteht, ist auch wieder Bond drin

| Lesedauer: 6 Minuten
Joachim Mischke
Daniel Craig als James Bond bei der Arbeit. Dass dabei regelmäßig ein Fortbewegungsmittel geschrottet wird, ist Teil des Markenkerns

Daniel Craig als James Bond bei der Arbeit. Dass dabei regelmäßig ein Fortbewegungsmittel geschrottet wird, ist Teil des Markenkerns

Foto: picture alliance

In „Spectre“ machen Regisseur und Hauptdarsteller im Sinne von „Skyfall“ weiter: mit einem Agenten, der an der Gegenwart verzweifelt.

Hamburg.  Es gibt da diese besonders für Männer schwer erträgliche Szene in „Casino Royale“. Daniel Craig, als Tenderloin-Muskelfaserpaket aus seinem Tom-Ford-Anzug gepellt, sitzt da in einem Verlies, breitbeinig an einen Stuhl gefesselt, der unter einem Körperteil, das für Doppelnull-Agenten alter Schule nicht ganz unwichtig ist, offenbar ein Loch aufweist. Und neben uns 007 steht Mads Mikkelsen als Le Chiffre, mit einem mächtigen Tampen in der Schurkenhand, um die durchtrainierten Kronjuwelen von Ihrer Majestät unkaputtbarstem Agenten zum Klingeln zu bringen. Glaskar ist in diesem Moment: Wie Le Chiffre endet, wird ebenso verdient wie unschön sein.

Neun Jahre und eine AnspielungsRundreise durch Ian Flemings Weltreich, in dem die Martinis niemals warm werden, später: Daniel Craig, frisch zurück zum Dienst kurz nach dem Erzählungsende von „Skyfall“. Wieder mal, wie auch dort von Raoul Silva, an einen Stuhl geschnallt. Wieder mal erklärt ihm ein Oberböser mit sonderbarem Akzent gründlich, warum und wie sehr er gleich die Engel singen hören wird. Ein Auslöser dafür ist, weil es sich neuerdings für einzelfilmübergreifende Handlungsbögen so gehört, tief in der familiären Vergangenheit des Helden verschüttet gewesen.

Diese Szene riecht nach den Neurosen aus „Breaking Bad“ und nach Shakespeares Rachedramen, aber nicht nach den amüsanten Kinderstunde-Abenteuern früherer MI6-Dienstreisen. In diesem Film gibt es ständige Wiedersehen mit alten, unfreiwillig verstorbenen Bekannten. Alles hänge ja auch mit allen zusammen, bekommen wir zwischen zwei routiniert rasanten Mörder-Stunts eingebläut, und wann immer Bond für uns diese Erkenntnis macht, schickt ihn die auf optische Überwältigung ausgelegte Küchenpsychologie-Regie von Sam Mendes in dunkle Keller, verfallene Gemäuer oder gottverlassene Gegenden.

Wer einem Doppelnuller ans Eingemachte will, wird es bereuen

Doch in dieser Schlüsselszene geht es Bond mit dem High-Tech-Foltergewese nicht, wie vor Jahrhunderten in „Goldfinger“, ans Geheimdienst-Gemächt, sondern: ans Gehirn. Dorthin also, wo die wirklich wichtigen Informationen über alles und jeden gespeichert werden, an die hochsensibel verschlüsselte Festplatte der Seele. Mit kleinen, gemeinen Bestrafungsmedizin-Bohrern, die aussehen wie bei einem „CSI: Cambridge“-Dreh geleast. Das sagt schon sehr viel über die Renovierungsmaßnahmen, die der urbritische Kinomythos für „Spectre“ durchmachte, um dauerhaft zeitgemäß zu sein und traditionsgeerdet zu bleiben.

Wo frühere bad Guys einzig die große Kohle im Sinn hatten, geht es jetzt um eine viel wichtigere Währung: Wissen, totale Kontrolle. Weltherrschaft durch Durchblick, getrieben von der politisch inszenierten Angst des kleinen Jedermanns auf der Straße vor dem nächsten Anschlag (einer dieser Anschläge fand übrigens, unbebildert, in Hamburg statt). Und Edward Snowden schickt insgeheim seine Ich-habs-euch-doch-gesagt-Liebesgrüße aus Moskau. Aber vor allem ist wieder flott klar: Wer einem Doppelnuller ans Eingemachte will, wird es bereuen.

Gerade war die „Royal Premiere“ des 24. Bond-Films in London, denn in der nächsten Woche läuft „Spectre“ weltweit an und soll entsprechend an den Kinokassen abräumen. Einige Windsors waren da und alle anderen drehten wie auf Knopfdruck durch, schon deswegen, weil das coole Drei-Wort-Logo „Bond. James. Bond“ für das Image-Bruttosozialprodukt des Landes viel wichtiger ist als das wieder hippe Burberry-Schottenkaro in den Trenchcoats oder die Emily am Rolls.

Ohne allzu viel zu verraten: Das mit dem Durchdrehen wegen „Spectre“ geht über sehr weite Strecken des 148-Minüters durchaus in Ordnung. Denn Mendes weiß und zeigt, was sich für ein solches Spektakel gehört. Er beginnt in der Ouvertüre, bevor Sam Smiths Titelsong „Writing’s On The Wall“ im Kino viel besser als befürchtet funktioniert, mit einem visuellen Erdbeben rund um den Zócalo in Mexico City. Dort geht nach einer schier unfassbar langen ersten Kameraeinstellung das erste von vielen Gebäuden zu Bruch und ein Helikopterflug verläuft anders, als es in den Handbüchern für entspannte Rundflüge über Menschenmassen auf großen Plätzen steht.

Später folgt, sehr souverän ins Drehbuch hineingetaktet, das erste touristische Gastspiel, im nächtlichen Rom, wo das Stadtmarketing für den Dreh dieses Werbespots gehorsamst ganze Straßenzüge rund um den Vatikan leer gefegt hat, damit Bonds maßgeschneiderter Aston Martin auch in den engsten Gassen noch bella figura macht. Monica Bellucci darf kurz als Bond-Woman – sie ist im wirklichen Leben vier Jahre älter als Craig und damit für 007-Orthodoxe ein unauflösbarer Widerspruch in sich – lasziv in ihrem Palazzo durchs Bild witwen und die schwarzen Dessous anbehalten.

Christoph Waltz’ erste Erscheinung erinnert an Brandos Colonel Kurtz in „Apocalypse Now“, ohne Nuscheln und Glatze, aber mit Blofeld-Gedächtnis-Katze. Und auch danach ist Waltz souverän in der Lage, die Mischung aus Größenwahn und Genie trotz schwächelnder Texte mit der kalten Grandezza eines Tarantino-Standartenführers zu veredeln.

Ben Whishaw, die Konfirmanden-Version von Q, ist wieder mit dabei und hat einiges an Männerspielzeug im Sortiment. „Kann die auch was?“, fragt Bond skeptisch, als er seine neue Uhr erhält und die nur nach Uhr aussieht. Sie kann. Um zu demonstrieren, dass der Weg von echter zu Regierungskriminalität manchmal nur kurz ist, wird das Bond-Kollegen-Alphabet neben M und Q um C erweitert. In dieser Nebenrolle glänzt Andrew Scott, bislang als Moriarty-Update im neuen „Sherlock“ Benedict Cumberbatchs Lieblingsgegner. Britischer geht’s kaum. Aber Bond verpflichtet. Und dann ist da noch Léa Seydoux, deren Rollenname Dr. Madeleine Swann womöglich eine Anspielung auf Prousts’ „Suche nach der verlorenen Zeit“ ist. Denn mit einem Bein steht Bond immer tief in seiner Legenden-Vergangenheit.

Nach einem Showdown, der ein Scheunentor für Fortsetzungen offen lässt, endet „Spectre“ so überraschend, wie es sich für ein 007-Kapitel gehört, das weíß, dass nach dem Bond immer vor dem Bond ist. Allerdings hatte Ralph Fiennes weit zuvor das letzte weise Wort. „Die Lizenz zum Töten ist auch eine Lizenz dazu, nicht zu töten.“ „Sein oder nicht sein“ war gestern.