Die Hamburger Schriftstellerin Tina Uebel fährt mit dem Zug nach Shanghai. Der Reise folgt ein längerer Aufenthalt in China.

Hamburg. Der Wind pustet ordentlich und sehr angenehm in die Dachgeschosswohnung, unten auf der Reeperbahn steht die Hitze. In der Ecke des Arbeitszimmers der Reiserucksack, gepackt für vier Monate. Wider Erwarten gar nicht so schwer. Tina Uebel, die Hamburger Schriftstellerin und Vielreisende, ist eine geübte Wegfahrerin, sie wird ihn problemlos schultern. Sieben Wochen lang ist sie seit gestern unterwegs. Das Ziel: Shanghai.

"Wer reist, der verwandelt sich in einen anderen Menschen" - Das Reisetagebuch

Der Weg: noch interessanter als die asiatische Megacity. Uebel nimmt die lange Strecke und nicht etwa das Flugzeug. Auch nicht die Transsibirische Eisenbahn, sondern die harte Tour mit vielen Umsteigebahnhöfen. Sofia, Istanbul, Teheran, Taschkent, Astan - unter anderem. Uebel macht eine Überlandtour durch den wilden Osten. Eine Abenteuerfahrt, die sie durch die Türkei, Iran,Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan führt auf einem Trip von - mit teilweise mehrtägigen Aufenthalten - sieben Wochen. Dann ist Uebel an ihrem Zielort Shanghai, dort wird sie dann auf Einladung des chinesischen Schriftstellerverbands zwei Monate bleiben. Land und Leute kennenlernen, wie man so schön sagt; aber die Neugierde auf China (wo sie übrigens auch schon mal war) versteckt sich noch deutlich hinter der Aufregung, der gespannten Erwartung vor der Anreise.

Es sind noch zwei Tage vor der Abreise, als wir sie treffen, und Tina Uebel steckt sich wieder eine Zigarette an. Es ist die fünfte, sie sagt: "Natürlich bin ich nervös und habe auch ein bisschen Bammel." Wer könnte das nicht verstehen; alleine über eine Strecke von - wie viel Kilometer eigentlich? Luftlinie 9000 Kilometer, überland werden es ein paar Meter mehr sein. Eine Reise, bei der vieles schiefgehen kann.

Warum Uebel, die renommierte Autorin ("Horro Vacui", "Die Wahrheit über Frankie") und Macht-Club-Macherin, den unbequemen Weg wählt? Weil sie neugierig ist, weil sie Herausforderungen liebt. Und weil sie sich inspirieren lassen will: zu neuen Stoffen und literarischen Bearbeitungen von Reiseerfahrungen. Wer reist, der verwandelt sich in einen anderen Menschen, sagt Uebel, 1969 geboren und in Volksdorf aufgewachsen. Sie will ihr Archiv "Welterleben" weiter füllen.

Ihre Wohnung ist ein prima Ausstellungsort ihrer Reisen: mit Statuen aus Papua und Propaganda-Poster aus Nordkorea. Da ist dann auch Ironie dabei, Uebel weiß um das G'schmäckle, das eine Reise ins zensurfreudige China hat, wo Schriftsteller unter ganz anderen Voraussetzungen schreiben als hierzulande. In China wird sie auf andere internationale Autoren treffen und ihren Job als Reisende machen: Maul zu, Augen und Ohren auf, so sagt sie es selbst. "Warum soll ich da sagen: 'Ich weiß es besser?'" fragt sie und zitiert Elias Canetti: "Auf Reisen nimmt man alles hin, die Empörung bleibt zu Haus. Man schaut, man hört, man ist über das Furchtbarste begeistert, weil es neu ist. Gute Reisende sind herzlos."

So weit die Belesene, reden wir über das Erdverbundene: die Organisation der Reise. "Ich freue mich wie auf jede Reise riesig", sagt Uebel. Das sieht man. Offener Blick, grüne Augen und schwer zu bändigende blonde Haare, so sitzt Uebel vor einem. Monatelang plante sie die komplizierte Anreise.

Mal belagerte sie den Bahnschalter stundenlang, mal fuhr sie zur in Hamburg lebenden Mutter des Teheraner Reiseunternehmers, um die Tickets für die Iran-Etappe abzuholen. Die Freie und Hansestadt Hamburg unterstützt sie finanziell, für das Deutsch-Chinesische Kulturnetz berichtet Uebel über ihre ungewöhnliche (geografische) Annäherung an China. Sie will wissen, wie es ist, wenn sich fremde Länder und Kulturen langsam vor ihr entblättern, wie sie ineinander übergehen. Sie nennt es "Reisebeglückung", wenn schon im Vorfeld einer Reise einfache Lösungen für zunächst aussichtslos erscheinende Sachverhalte gefunden werden, "es ist doch langweilig, wenn dich am Zielort ein Reiseleiter am Bahnhof abholt".

Eine derartige Reise würde zu der Dame auch gar nicht passen, die lieber weniger Klamotten und mehr Bücher mitnimmt. Etwas übernächtigt wirkte sie vor der Abreise, kein Wunder. Das letzte Visum, das für Iran, kam erst vorgestern. Sie wird jetzt lange nicht zu Hause sein; wenn sie im November zurückkehrt, steht gleich der nächste Trip an, nach Kamerun. Sie arbeitet an einem Kurzgeschichtenband, der allein ausländischen Erfahrungen gewidmet sein soll, außerdem soll im Frühjahr ein neuer Roman erscheinen, Arbeitstitel: "Last Exit Volksdorf". In sieben Wochen steigt sie erstmal in Shanghai aus.

Tina Uebels unterwegs entstehende Texte finden sich im Internet unter www.abendblatt.de/uebel