Hamburg. Die Halle an der Peutestraße sieht aus wie ein Flugzeughangar. Links und rechts türmen sich leere Container. Die hohen Tore sind offen, drinnen stapeln sich Berge von Kabeln. Männer sortieren in schummrigem Licht den Metallmüll. Jeffrey Weiss erwartet Reporter und Fotografen schon am Eingang, sein Bruder Giovanni fährt mit dem neuen Bandbus vor. Unten an der Wagentür kleben die Initialen DD. Das steht für Django Deluxe.
Die beiden Brüder und ihr Cousin Robert Weiss haben ihrer Band diesen Namen gegeben – als Hommage an den großen Zigeunergitarristen Django Reinhardt. „Bis zu meinem zwölften Lebensjahr kannte ich keinen anderen Gitarristen außer Django“, sagt Giovanni, der ältere der Brüder. Zum Interview haben sie in den Aufenthaltsraum ihrer Firma gebeten. Auf dem Tisch liegen ein paar in Alupapier verpackte Sandwiches, bald ist Mittagspause. An der Wand hängt ein Plakat mit einer langbeinigen Schönheit, der ein Mops von unten in den Schritt guckt. Eine erotische Fantasie, wie sie in vielen Räumen hängen, in denen Malocher ihre Pausen verbringen. Auch Jeffrey und Giovanni Weiss halten sich oft hier auf: „Schrott und Musik gehören bei uns einfach zusammen“, sagt Jeffrey und lächelt verschmitzt.
Der große korpulente Mann zupft den Bass bei Django Deluxe. Und er leitet den Schrotthandel. HRP Hamburger Recyclingpartner steht auf seiner blau-weißen Visitenkarte. Niemals ist Jeffrey ohne seine Schiebermütze zu sehen. Er trägt sie bei der Arbeit, auf der Bühne und auch auf den Coverfotos für „Driving“. So heißt die aktuelle CD von Django Deluxe, die sie im vergangenen Herbst zusammen mit der NDR Bigband aufgenommen haben. Als Gäste sind die Sängerinnen Y’akoto und Ayo und die Sinti-Musiker Jermaine Landsberger und Stochelo Rosenberg dabei, Verwandte, die in Nürnberg und Holland leben. Nach „Wilhelmsburg“, 2012 erschienen, ist es das zweite Album der Hamburger Zigeunerband.
„Wir haben schon immer davon geträumt, mal mit einem Orchester aufzunehmen. Nach dem Echo 2013 hat es geklappt“, erzählt Giovanni. Vor zwei Jahren bekam er in Hamburg den Jazz- Musikpreis als bester Gitarrist überreicht. „Es ist nicht nur für mich, sondern für unser ganzes Volk eine riesige Auszeichnung. Ich habe Glückwünsche aus der ganzen Welt bekommen.“ Künstlerische Anerkennung ist für einen Sinto immer noch die Ausnahme, unabhängig wie virtuos er spielen kann.
Giovanni Weiss zählt zu den herausragenden Gitarristen in Deutschland, wenn nicht in Europa. Als 17-Jähriger durfte er an der Hochschule für Musik und Theater nach einer Aufnahmeprüfung studieren, zwei Jahre später erhielt er ein Stipendium am renommierten Berklee College of Music in Boston. „Aber meine Eltern wollten mich nicht zwei Jahre in die USA gehen lassen. Pat Metheny wäre mein Dozent gewesen“, sagt er in einem etwas nachdenklichen Ton. „Aber ich bin jetzt auch glücklich und zufrieden.“
Giovanni bezeichnet sich als „Stubenhocker“. Während seine Geschwister, Cousins und Cousinen draußen herumtobten, spielte er Gitarre. Zehn Stunden am Tag, jahrelang. Eine normale Schulbildung hat er nicht genossen: „Manchmal war ich einen Tag in der Schule, dann wieder 30 nicht.“ Niemand in der Schule kümmerte sich um Zigeunerkinder wie Giovanni Weiss. Der 35-Jährige und seine Familie sind sesshaft geworden, die Zeiten des monatelangen Herumreisens, wie er es als Kind erlebt hat, sind vorbei.
Aus dem Stubenhocker ist ein weltgewandter Künstler geworden
Aus dem Stubenhocker ist ein weltgewandter Künstler geworden, der sehr genau seine Kultur reflektiert, sich auszudrücken weiß und elegant zu kleiden pflegt. Mit seinem ebenmäßigen Gesicht und den schwarzen Haaren könnte er auch als „Latin Lover“ modeln. Zu Hause spricht er nur Romanes, die eigenständige Sprache der Sinti und Roma. „Deshalb haben wir alle einen leichten Akzent“, bemerkt er. „Ich nicht“, wirft Jeffrey ein, „ich kann sogar platt snacken.“
Während Giovanni jede Interviewfrage ausführlich beantwortet, sitzt Jeffrey gebeugt daneben, die Unterarme auf die Oberschenkel gestützt und raucht. Das Reden überlässt er seinem Bruder, nur ab und zu kommentiert er einen Satz, meistens mit einem pointierten Witz. Obwohl sie sich in kurzer Zeit in der Musikszene einen Ruf erspielt haben, schlagen ihnen immer noch Vorurteile entgegen. „Wir merken das, wie viel schwieriger es ist, Auftritte zu bekommen. Eine sogenannte ,deutsche‘ Band hat es einfacher als eine Sinti-Gruppe“, sagt George Brenner, Manager und Produzent von Django Deluxe. „Das ist in allen Bereichen so“, ergänzt Jeffrey. „Da kommt zum Beispiel ein deutscher Klempner her und will Kupfer verkaufen. Der sagt dann: ,Ich seid doch Zigeuner, können wir dat nich ohne Zeddel machen?‘ Die glauben tatsächlich, wir müssten keine Steuern zahlen und bewahren unser Geld unterm Kopfkissen auf.“
Die Altmetall- und Recycling-Firma sichert den Brüdern Weiss ihren Lebensunterhalt, doch sie möchten es auch als Musiker schaffen. Seit sie Kinder sind, musizieren sie zusammen. „Im Hinterkopf war immer die Idee, öffentlich aufzutreten und vielleicht berühmt zu werden“, gibt Giovanni zu. 1996 haben sie schon einmal eine Aufnahme gemacht, noch auf einer Kassette. Produzent war damals ein gewisser Wolle Lorenz. Ihm hat Giovanni auf dem neuen Album den Song „Wolle“ gewidmet. Auf „Driving“ gibt es eine Reihe eigener Songs, aber auch Klassiker wie „Mean To Me“, „That’s My Kick“ von Erroll Garner oder „Clockwise“ von George Benson.
Die NDR Bigband klingt wie die Jazzorchester in den 30er- und 40er- Jahren, genau so wie Giovanni und Jeffrey Weiss es sich gewünscht haben. „Jörg Achim Keller, der die Arrangements geschrieben hat, wusste von Beginn an, wie wir klingen wollten“, sagt Giovanni. Jeffrey nickt zustimmend und zündet sich die nächste Zigarette an. Am kommenden Donnerstag geben sie im Rolf-Liebermann-Studio ein exklusives CD -Release-Konzert, für das man nur über den NDR Karten gewinnen kann. Hamburger Fans dieser Ausnahmeband müssen bis zum Elbjazz- Festival im Mai warten. Dort werden Django Deluxe öffentlich konzertieren. Chancen auf einen weiteren Echo haben sie mit „Driving“ auch – aber erst zur Verleihung 2016.
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