Michael Wittenborn über Lampenfieber, Alkohol am Abend vor der Probe und die Schwierigkeit, ein „Entertainer“ und der Mann der Intendantin zu sein

Hamburg. Am Sonnabend inszeniert Christoph Marthaler am Deutschen Schauspielhaus John Osbornes Stück „Der Entertainer“. Es wurde 1957 in England mit Laurence Olivier in der Titelrolle uraufgeführt. In Hamburg spielt Michael Wittenborn den Archie Rice: Für Wittenborn, der schon in den 90er-Jahren lange in Hamburg engagiert war, ist jede Vorstellung ein Heimspiel. Leichter macht es das allerdings nicht. Ein Garderobengespräch.

Hamburger Abendblatt:

Worin besteht die größte Schwierigkeit, einen abgehalfterten, kaputten Entertainer zu spielen?

Michael Wittenborn:

Es gibt drei Conferencen, in denen er immer kaputter werden muss. Das kann man verschärfen, indem er immer alkoholisierter wird, ohne jedoch zu lallen. Er muss zunehmend den Faden verlieren. Aber anders als zum Beispiel Harald Juhnke, kann ich mich am Anfang nicht hinstellen und sagen: Hier bin ich und ich bin toll! Das ist weit weg von mir. Es ist auch eine Frage des Mutes, sich so zu präsentieren. Entweder man glaubt mir oder nicht. (lacht) Aber ein bisschen Glamour haben wir auch.

Wie viel Varieté baut Marthaler ein?

Wittenborn:

Das kann ich noch gar nicht sagen. Nicht alles, was wir geprobt haben, bleibt auch im Stück. Marthaler braucht Durchläufe und ändert dann.

Es soll ja Regisseure geben, die einen Tag vor der Premiere noch entscheidende Szenen ändern...

Wittenborn:

Oh, ja! Ich habe mit Frank Castorf hier am Haus in den 90ern Brechts „Puntila“ gemacht. Die Generalprobe war am Tag der Premiere. Nach 15 Minuten brach er die Probe ab und sagte: „Nee, hört ma uff, det is jetzt Quatsch. Da macht ihr euch die falschen Sachen in die Birne.“ Ich bin hin zu ihm und habe gesagt: „Das ist der einzige Durchlauf, Frank, das kannst du nicht machen.“ Er: „Glaub mir, det wird, det wird.“ Ich habe einen Tag verlebt, der war schrecklich.

Alkohol spielt in Osbornes Stück ein wichtige Rolle. Wird an den Theatern eigentlich noch so gesoffen wie früher?

Wittenborn:

Nicht mehr so wie früher. Die meisten, die viel getrunken haben, mussten aufhören, weil sie keinen Text mehr behalten konnten. Die anderen halten Maß. Als wir junge Schauspieler waren, war Alkohol gang und gäbe. Ich habe in den 80ern in Tübingen am Landestheater bis morgens um sechs gesoffen, fast jeden Tag. Man ist durch den Alkohol am nächsten Morgen auf der Probe schutzlos und offen, daraus entsteht dann sogar einiges. Nach der Probe bin ich nach Hause, hab Mittagsschlaf gehalten, abends wurde gespielt, danach war der Kreislauf wieder oben, und dann ging es weiter. Tagsüber trinken konnte ich allerdings nie. Aber nach Vorstellungsende, als große Belohnung.

Haben Sie Lampenfieber?

Wittenborn:

Immer. Furchtbar. Ich leide fürchterlich. Vor allem vor Premieren. Schrecklich. Das hat ein Leben lang dazugehört. Ich kann und wollte dagegen nie etwas unternehmen. Da hilft nichts. Nur Text lernen.

Es gibt ja Souffleusen ...

Wittenborn:

Wenn die in der ersten Reihe sitzt, möchte ich nicht, dass sie mir hilft. Dann ist doch jede Illusion hin. Da helfe ich mir da oben lieber irgendwie selbst. In meiner Bühnenverfassung kann ich Hilfe von ihr vergessen. Ich hatte vorgeschlagen, in unser schönes Bühnenbild eine Muschel einzubauen, in der sie so sitzt wie früher. Das hätte gut gepasst. Aber das ging technisch leider nicht.

Warum sind sie überhaupt Schauspieler geworden, wenn das Lampenfieber schon immer so stark war?

Wittenborn:

Als ich acht Jahre alt war, habe ich im Kino Peter Alexander in „Im weißen Rössl“ gesehen. Da wollte ich Schauspieler werden. Den fand ich grandios. Der konnte tanzen, singen und Blödsinn machen und wurde dafür geliebt – ich machte immer Blödsinn und kriegte immer nur Ärger.

Wenn Peter Alexander so eine frühe Inspiration war, ist „Der Entertainer“ ja vielleicht doch eine Traumrolle?

Wittenborn:

(lacht) Ja, wenn man dafür gemacht ist. Manchmal habe ich das Gefühl, ich habe mich ein Leben lang überfordert. Ich bin gar nicht dafür gemacht, den Leuten was vorzumachen.

Sie waren schon zwischen 1993 und 2000 Ensemblemitglied im Deutschen Schauspielhaus und sind mit ihrer Frau Karin Beier, der neuen Intendantin, zurückgekehrt. Was war das für ein Gefühl?

Wir hatten eine tolle Zeit in Köln. Aber ich habe mir viel Sorgen um Karin gemacht, weil das Schauspielhaus so riesig und so schwierig ist. Aber es ist eben auch eines der schönsten Theater Deutschlands, wenn nicht das schönste.

Sprechen Sie beide viel über das Theater?

Wittenborn:

Nein, überhaupt nicht. Das ist mir ganz angenehm, keinen Wissensvorsprung vor den Kollegen zu haben. Es spielt im Umgang keine Rolle, dass ich der Mann der Intendantin bin.

Sie waren zuletzt in einigen Kinofilmen wie „Stromberg“ und „Wir sind die Neuen“ zu sehen. Ist es schwierig, Theater und Film unter einen Hut zu bringen?

Wittenborn:

Ja, ich schlage vieles aus, weil die Zeit nicht ausreicht. Aber es ist schon wunderbar, beides machen zu können und neue Leute kennenzulernen. Zum Beispiel Bjarne Mädel bei der Fernsehserie „Mord mit Aussicht“. Für den „Tatortreiniger“ hat er sich dann nur Schauspieler geholt, die er von früher gut fand. Bjarne ist früher viel ins Schauspielhaus und in die Berliner Volksbühne gegangen. Durch ihn habe ich dann den Regisseur Arne Feldhusen getroffen. Dessen „Stromberg“ fand ich super und habe mich geärgert, dass ich nicht dabei sein konnte. „Ja, wir machen ja noch einen Kinofilm“, sagte Feldhusen. Das hatte ich schon vergessen, als er sich tatsächlich meldete und ich mitspielen durfte. Da habe ich mich sehr gefreut.