Der französische Autor Michel Houellebecq über seinen umstrittenen Roman „Unterwerfung“. Der Deutschland-Auftritt war Anlass für Medienauftrieb.

Köln. Im Auge des Orkans sitzt ein schmächtiger Mann mit Parka und ausgebeulter Jeans, die Haare stehen wirr ab, das Gesicht wirkt bleich und ausgezehrt. Michel Houellebecq, live in Köln: Erstmals trat der französische Schriftsteller nach den Anschlägen auf die Pariser Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ öffentlich auf, um über seinen Roman „Unterwerfung“ zu sprechen. Ein Roman über die „Islamisierung“ Frankreichs, der dort schon vor den Anschlägen diskutiert, als islamfeindlich kritisiert wurde – und der am Montagabend der lit.Cologne als Veranstalter einen beispiellosen Ansturm von TV-Teams, Fotografen und Textjournalisten bescherte.

Auch, um diesem Medienrummel Herr zu werden, hielt ein privater Sicherheitsdienst am Eingang die Stellung. Vor allem aber reagierte die lit.Cologne damit auf Polizei und Staatsschutz, die – durchaus überraschend – keine Gefährdungslage erkannt hatten. „Dann müssen wir eben selbst für Sicherheit sorgen“, sagt Festivalleiter Rainer Osnowski: „Paris hat uns gelehrt, dass jeden Tag, jede Stunde etwas passieren kann.“

Houellebecq gibt eine Erklärung ab

Das Depot des Schauspielhauses, beheimatet im Areal des Carlswerks in Köln-Mülheim, liegt auf einem schwer zu überblickenden Gelände. Einen Steinwurf von der Keupstraße entfernt. Bürgerliche Hochkulturstätte neben türkischer Parallelwelt, die 2004 durch das NSU-Attentat schwer erschüttert wurde: Dass man hier ein unschönes Zusammentreffen von Islamfeinden und Islamisten hätte erwarten können, machte die gefühlte Bedrohungslage zum Small-Talk-Thema des Abends.

Und die angemessene Reaktion auf all diese Aufregung? Michel Houellebecq, der zauselige französische Nationaldichter im Zentrum der politischen Böen – er schlurft auf die Bühne und setzt sich still in seinen Sessel. Nachdem die Fotografenschar von ihm abgelassen hat, als die Lesung endlich beginnen soll, hebt er mit einer höchst gelassenen Geste die Hand: Er wolle eine Erklärung abgeben. Es folgen vom Notizblock abgelesene Sätze, leise und vernuschelt, aber doch die eindeutigsten, politischsten Sätze, die 600 Zuschauer hören werden. Vor den Anschlägen, so Houellebecq, habe er „in Endlosschleife“ erklären müssen, „dass ,Unterwerfung‘ kein islamophobes Buch ist“. Jetzt müsse er plötzlich zusätzlich klarstellen: „Dass man das Recht dazu hat, ein solches Buch zu schreiben. Wenn man es denn möchte.“ Fast wünsche er sich, er hätte ein solches Buch geschrieben, setzt er hinzu, eine typische kleine Houellebecqsche Provokation. Bei den zahlreichen Demonstrationen habe er gesehen, „dass die Franzosen sich etwas sehr wünschen: Meinungsfreiheit“.

Ein Stichwort, auf das sich Houellebecq selbst an diesem Abend immer wieder zu berufen scheint. Im Gespräch mit Nils Minkmar („Franfurter Allgemeine Zeitung“) verweigert er eindeutige Antworten oder Kommentare zur Lage der Grande Nation. Im Roman beschreibt er, wie Frankreich von einem muslimischen Präsidenten betört wird, wie sein Protagonist François sich vom hohen Professorengehalt und der Aussicht auf eine Schar jugendlicher Ehefrauen zum Islam bekehren lässt. „Finden Sie das gut?“, versucht es Minkmar. Houellebecq bleibt ungreifbar, unangreifbar: „Im ersten Teil des Buches gibt François zu, dass er sich nicht auskennt. Das ist ein Zeichen von Relativierung, die man auf den Autor übertragen kann: Ich habe keine Ahnung!“ Die Frage, was den Front National so erfolgreich macht, treibt Houellebecq auf seiner Flucht ins Nebulöse eine Zigarette in die Finger und den Zuschauern der ersten Reihen Rauch in die Lungen. Frankreich sei ein „rechtes Land, das einen linken Präsidenten gewählt hat“ und dieser Widerspruch „eine Falle“.

Houellebecq ist es egal, wer sein Buch missbraucht

Nur einmal noch gerät der Meister des Unbestimmten an den Rand dessen, was man eine Aussage nennen könnte. Was er da in seinem Roman beschreibt, was viele im Westen so sehr fürchten, die Islamisierung des Abendlandes – könnte das passieren? „Die Vorstellung, dass die Biologie stärker ist als die Ideologie, dass der Teil der Bevölkerung mit den meisten Kindern sich durchsetzt – das trifft zu“, behauptet Houellebecq. „Jedenfalls, wenn auch die Bildung kontrolliert wird“ – wie es die Muslime in seinem Buch tun. Was, wenn nun die Anhänger des Front National ihn und sein Buch für seine Zwecke zu nutzen suchen? „Das“, sagt Houellebecq, „ist mir eigentlich ziemlich egal.“

Der Autor, der den Roman zur Stunde schrieb, er bleibt in dieser Kölner Stunde ganz der Freiheit der Literatur verpflichtet. Eine Freiheit, deren Folgenlosigkeit er mit einem ironischen Lächeln behauptet: „Es hat noch nie jemand seine politische Meinung geändert, nur weil er ein Buch gelesen hat.“