Arte zeigt kurz nach den Terrorattacken eine TV-Miniserie über Menschen in der französischen Hauptstadt. Die Entscheidung irritiert.

Für diesen Film gibt es ein Vorher und ein Nachher. Vorher war er auf brüchige Weise charmant. Humanistisch. Weil er grundsätzlich an das Gute glaubte. Sogar die persönliche Katastrophe war positiv konnotiert, denn der Sohn der Penmarchs starb ja für die richtige Sache. (Als Soldat in Mali.) Schon der Titel hatte dieses Leichte, Vielversprechende. Hätten wir „Paris“ vor dem 7. Januar gesehen, hätten wir gesagt: Lass uns mal wieder hinfahren und all das inhalieren, was wir nicht haben und nicht sind. Diese Eleganz und, ja, diese größere Leichtigkeit des Seins.

Im brutalen Licht des 7. Januar wirkt „Paris“ schmerzhaft anachronistisch. Regelrecht unpassend. Wie konnten der Regisseur – Gilles Bannier – und seine Drehbuchautorin – Virginie Brac – so an den Realitäten vorbeisehen, fragt man sich? An dem, was sich in den Banlieues zusammengebraut hatte? Wie konnten die „Paris“-Macher nur so unglaublich naiv sein?

Paris und die neue Realität

„Paris“ ist 2013 entstanden, 2014 fertig geworden und im September auf dem Fernsehfilmfestival von La Rochelle gelaufen. Arte zeigt die ersten drei Teile des sechsteiligen Episodenfilms heute und den Rest am kommenden Donnerstag. Zu spät. Oder auch: zu früh. Einen schlechteren Zeitpunkt kann man sich jedenfalls nicht vorstellen. Niemand von uns wird in dieses Kaleidoskop schauen können, ohne dass sich die Realität darüberlegt. Jedem von uns werden die Attentatsbilder vom Mittwoch vergangener Woche wie ein blutiger Subtext vor Augen stehen.

Die Drehbuchautorin sagt, sie sei durch die rbb-Dokumentation „24h Berlin“ zu diesem Film animiert worden. Der Regisseur sagt, er habe Menschen in Stadtvierteln jenseits von Postkartenklischees zeigen wollen. Er nennt seine Geschichte wirklichkeitsnah, weil sie „den oberen und unteren Rand der Gesellschaft“ ohne Schönfärberei zeige. Am oberen Rand kämpft der Premierminister an allen Fronten. Dieser Michel Ardant (François Loriquet) kriegt es mit Streikdrohungen und – unberechtigten – Korruptionsvorwürfe zu tun, und zu allem Überfluss ist auch noch sein Sohn Clément (Thomas Doret) verschwunden. Am unteren Rand kämpft Mansour (Rachid Chaib) um seine schwangere Freundin Leïla (Sonia Amori) und seine Existenz. Aber nicht dieser arabischstämmige Kleinkriminelle mit dem Kindergesicht ist es, der am Ende stirbt, sondern der Mann, der ihn in seine kriminellen Machenschaften hineingezogen hat. Außerdem gibt es eine transsexuelle Barsängerin (Sarah-Jane Sauvegrain), eine taffe Gewerkschafterin (Nanou Garcia), einen verzweifelten Busfahrer (Luc-Antoine Diquéro) und einen Staatsanwalt (Eric Caravaca), der seit Ewigkeiten mit dem Premierminister befreundet ist. Weil ein Moralist Regie führt, gibt es jede Menge Happy Ends.

24 Stunden Paris. Der Sechsteiler beginnt, wenn über den Champs-Élysées zartrosa die Sonne aufgeht. Von der neuen Wirklichkeit ist das Lichtjahre entfernt. Man weiß gar nicht, wie man diesen Film nennen soll. Ein französisches Souvenir? Ein unzeitgemäßes Märchen? Eine europäische Fiktion?

Programmplanungen haben naturgemäß einen langen Vorlauf. Änderungen machen Probleme. Trotzdem wäre es gut gewesen, diesen Film zu verschieben, der jetzt im französischen wie im deutschen Fernsehen seine Premiere erlebt. Nicht weil er schlecht wäre, sondern weil er ungewollt wehtut.

„Paris“, Do 15.1., 20.15 Uhr Teil 1-3, Arte, Teil 4-6 am kommenden Donnerstag