Kaum eine Stadt kam 2014 ohne eigene Ermittler aus, doch trotz neuer Teams gab es in der ARD-Krimireihe nur wenige Überraschungen

Spötter sagen, dass es in Deutschland bald keine einzige mittelgroße Stadt ohne „Tatort“-Team mehr gibt. Das ist natürlich übertrieben. Aber wer als bislang „Tatort“-loser Bürgermeister oder Stadtrat der ARD noch keine Marketingleute geschickt hat, der handelt im Grunde fahrlässig – eine ähnlich große Reichweite als Werbeträger hat nur der örtliche Fußballverein. Weshalb in jeder Folge mindestens ein Clubwimpel zu sehen ist.

Die „Tatort“-Rückschau 2014 fängt an mit den Neuzugängen: Christian Ulmen und Nora Tschirner ermitteln seit Ende 2013 als Dialog-konzentrierte Cool-Cops in der Klassiker-Stadt Weimar (und eröffnen das Krimi-Jahr 2015, siehe Kasten). MTV macht halt lässig, noch jünger sind aber die Erfurter Kollegen Funck, Schaffert und Grewel (Friedrich Mücke, Benjamin Kramme, Alina Levshin) aus Erfurt, die auch noch ganz neu sind und in der Disziplin Generationswechsel mit frischer Unbekümmertheit überzeugen. Manchmal. Die Fälle, die sie bislang lösen durften, sind zwar genauso lahm wie die im nicht weit entfernten Weimar, trotzdem muss man sagen: Gut, dass der Folklore-und-Krimi-Osten nicht mehr vom bieder-schnarchigen Leipzig-Duo Saalfeld (Simone Thomalla) und Keppler (Martin Wuttke) bestimmt wird, die 2015 ihren letzten Auftritt haben.

Im Osten neu ist dann ein Dresdener Ermittler-Team, das von Martin Brambach und Alwara Höfels dargestellt wird: Das klingt vielversprechend. Gleiches gilt für Berlin, wo Dominic Raacke sofort ausstieg, als der Sender das Ende von Ritter und Stark verkündete und Boris Aljinovic noch einmal alleine antrat, um in einer aus dem Normalformat ausbrechenden Mystery-Folge in eine Pistolenkugel zu laufen – Schreck, lass nach, er wird doch nicht tot sein! Ein offenes Ende im „Tatort“, das war natürlich eine kleine gestalterische Frechheit und ein Unterlaufen der Zuschauererwartung vom Allerfeinsten. Eine Ausnahme – sonst überraschte der „Tatort“ in diesem Jahr selten formal und inhaltlich.

Schade ist es um Nina Kunzendorf, die 2013 letztmals in Frankfurt ermittelte, und Joachim Król , ihren saufenden Partner, dessen letzter Fall freilich noch aussteht. Danach werden in Mainhattan Wolfram Koch und Margarita Broich unterwegs sein, zwei Fernsehgesichter, die man wie so viele im „Tatort“ schon so oft gesehen hat und künftig auch namentlich zuordnen kann. Denn der „Tatort“ ist eine Popularitätsmaschine, und deswegen freuen wir uns auch auf die Neuen in Frankfurt.

Allerdings gilt ja, dass in der letzten TV-Großveranstaltung nach dem Ende von „Wetten, dass..?“ jede neue Ermittlerfigur erst mal mit großer Neugier und Vorfreude bedacht wird. Und dass es mit den Fernseh-Menschen genau so ist wie mit den echten, merkt man daran, dass man anhänglich ist, irgendwie, und dass es trotzdem auch Abnutzungserscheinungen gibt: Der nervtötend tantenhafte Bodensee-„Tatort“ wird ebenfalls demnächst eingestellt. Eine sehr gute Nachricht, weil wir uns schon jetzt gar nicht mehr an die 2014er-Fälle erinnern können.

Apropos: der Fall. Das Verbrechen, die Gewalttat, der Mord. Die ewige Wiederholung des Immergleichen: Es muss nicht unbedingt gegen die Drehbücher sprechen, dass sich die Qualität der Krimireihe mehr an den Qualitäten der Charaktere bemisst als am Fall – auch wenn sie immer noch die Aufgabe hat, zeitgeistig zu sein und einen Blick auf den Zustand der Gesellschaft zu werfen. Vom Boom der anspruchsvollen US-Serien lässt sich das deutsche Renommierprodukt durchaus beeinflussen: Im seit 2012 laufenden Dortmunder „Tatort“ wird horizontal erzählt. Die traumatische Vorgeschichte von Kommissar Faber (Jörg Hartmann) entblätterte sich über alle bisherigen Folgen – das macht den Plot komplexer und die Faber-Fälle zu den besten der jüngeren Vergangenheit.

Verstörender noch als Fabers Psycho-Anfälle war 2014 nur der allererste „Tatort“: In der Folge „Franziska“ wurde die Assistentin (Theresa Mittelstaedt) auf krassest-mögliche Weise verabschiedet. Die Folge lief deswegen erst um 22 Uhr. Anders als der Hessen-„Tatort“ „Im Schmerz geboren“: Waren es 47 Tote? Oder sogar 53? Die Folge war auf jeden Fall die gewalttätigste, was den „Bodycount“ angeht. Mit seiner theatralen, an Shakespeare erinnernden Erzählweise und einer Tarantino-Ästhetik war das wuchtige Rache-Drama mit Ulrich Tukur und Ulrich Matthes in dieser Saison die ungewöhnlichste Arbeit. Dieser „Tatort“ bewegte sich weit weg von Realität und Fernsehästhetik – ein Gütesiegel.

Hamburgs neuer Chef-Ermittler Nick Tschiller (Til Schweiger) orientierte sich derweil eher an den Kino-Blockbustern eines Michael Bay („Transformers“) und an sich selbst als starker Marke. Zu erwarten steht, dass er 2015 mit Helene Fischer in einer Nebenrolle jedenfalls wieder ganz dem Massen-Appeal entspricht – und actionmäßig noch einmal nachlegen wird. In Sachen „Bodycount“ 2014 so deutlich gegen die Hessen verloren zu haben, das wird Schweiger-Tschiller wohl nicht auf sich sitzen lassen.

Um zur „Tatort“-Inflation zurückzukommen: Wilhelmshaven oder Oldenburg sind jetzt auch mit dabei. Zumindest zeitweise. Genauso wie Langeoog und Emden. Wenn der NDR nun Wotan Wilke Möhring als Thorsten Falke durch die norddeutsche Provinz schickt, dann zeigt er damit auch, dass das Verbrechen hinter jeder Milchkanne lauert. Spannend gestaltet sich das Verhältnis zwischen Falke und Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller). In der Folge „Feigheit des Löwen“ verbringen beide eine Nacht im Hotel. Fortsetzung folgt.

Nicht nur bei Falke/Möhring, auch bei anderen Kommissaren interessieren sich die Drehbuchautoren zunehmend für das Privatleben der Ermittler, ihr Vorleben und ihre Geheimnisse. Bei Steier in Frankfurt, bei Faber in Dortmund – und in Stuttgart kämpft Sebastian Bootz (Felix Klare) mit seiner Ehekrise. Er wird gar in den Zwangsurlaub geschickt. Das Prinzip des „Wer ist der Mörder?“ hat ausgedient – zum Glück.