Das Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr gehört ab dem 1. November zu 100 Prozent dem Medienkonzern Bertelsmann

Hamburg . Die Nachricht sorgte am Montagmorgen sogar bei den Angestellten von Gruner + Jahr (G+J) für eine Überraschung: Der Medienkonzern Bertelsmann, bislang Mehrheitsgesellschafter mit einem Anteil von 74,9 Prozent am Unternehmen, kauft der Verlegerfamilie Jahr ihre 25,1-prozentige Sperrminorität vollständig ab und wird zum 1. November alleiniger Anteilseigner des Verlagshauses, bei dem unter anderem die Magazine „Stern“, „Geo“ und „Brigitte“ erscheinen.

Wie aus Verlagskreisen zu hören ist, gab es im Vorhinein keine Anzeichen für, nicht einmal Gerüchte über den unmittelbar bevorstehenden Verkauf. Das spricht dafür, dass die Verhandlungen nicht nur hinter verschlossenen Türen geführt wurden, sondern wohl unmittelbar zwischen dem Bertelsmann-Vorstandsvorsitzenden Thomas Rabe und Winfried Steeger, dem Geschäftsführer der Jahr Holding, die das Familienvermögen der Nachkommen von Verlagsgründer John Jahr senior verwaltet. Anders als vor zwei Jahren, als das „Manager Magazin“ vorab von Gesprächen erfuhr, die Jahr Holding plane einen Tausch ihrer eigenen Anteile gegen ein Bertelsmann-Aktienpaket, hat die Geheimhaltung diesmal funktioniert.

Über den Kaufpreis, der laut Bertelsmann-Mitteilung in bar geleistet wird, haben die Vertragsparteien Stillschweigen vereinbart. In Anbetracht eines G+J-Gesamtumsatzes von 2,1 Milliarden Euro im vergangenen Geschäftsjahr ist aber von einem dreistelligen Millionenbetrag auszugehen, den der Aufsichtsrat von Bertelsmann am Montag genehmigte.

Welche Folgen die Übernahme für die Mitarbeiter von G+J haben wird, ist derzeit nicht abzusehen. Eine Erhöhung des im August bekannt gegebenen Sparvolumens von 75 Millionen Euro, das in den kommenden drei Jahren bis zu 400 Arbeitsplätze kosten wird, scheint aber ebenso unwahrscheinlich wie ein kurzfristiger Weiterverkauf des von John Jahr senior zusammen mit Gerd Bucerius und Richard Gruner 1965 in Hamburg gegründeten Hauses. Rabe sagte am Montag, die Sparziele würden nicht erweitert und betonte: „Wir haben keine Absicht, Gruner + Jahr insgesamt oder in Teilen zu verkaufen.“ Vielmehr würde auch weiterhin in den Verlag investiert. Der zuletzt genannte Betrag von 500 Millionen Euro, den sich Bertelsmann die Zukunftssicherheit von G+J kosten lassen will, sei dabei nur ein Richtwert. „Wir werden das investieren, was nötig ist“, so Rabe weiter.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) appellierte an Bertelsmann, den Umstrukturierungsprozess von G+J konstruktiv zu begleiten. „Die guten sozialen Standards, die G+J gesetzt hat, müssen auch in Zukunft erhalten bleiben“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. Er forderte Bertelsmann auf, den angekündigten Abbau von Arbeitsplätzen zu überdenken. „Nur mit genügend redaktionellen Arbeitsplätzen haben die Journalistinnen und Journalisten genug Zeit für Themenfindung, Recherche und Schreiben“, sagte Konken. „Nur so können sie gute Qualität liefern.“

Neben den anstehenden Kürzungen war auch trotz Rabes Dementi schnell der mögliche Verkauf des nun vollständig zu Bertelsmann gehörenden Verlags ein Thema in der Berichterstattung: Das gezielte Heraustrennen von Filetstücken wie dem „Stern“ oder gleich ein Komplettverkauf wurden kolportiert. Der Ruf der Familie Jahr mag daran seinen Anteil haben: Die Nachkommen des Verlagsgründers und ihr über die Familienholding ausgeübter Einfluss auf G+J war für viele Garant für die journalistische Unabhängigkeit und Integrität des Verlags. Und für die vier Kinder von Jahr senior galt und gilt tatsächlich, dass sie sich dem Erbe ihres Vaters verbunden fühlten. So hat seine Tochter Angelika Jahr-Stilcken nicht nur das Zeitschriftenportfolio von G+J mitgeprägt – sie konzipierte „Essen & Trinken“, war unter anderem Chefredakteurin von „Schöner Wohnen“ –, die 73-Jährige ist bis heute im Aufsichtsrat des Verlags. Ihre Position als Journalistisches Vorstandsmitglied gab sie auf, als sie 2008 in den Aufsichtsrat wechselte. Auch ihre drei Brüder John Jr., Alexander und Michael waren als Journalisten und Verleger tätig. Jahr seniors Enkel hingegen haben zum großen Teil andere Werdegänge gewählt, haben mit der Medienbranche insgesamt und dem Verlag im Speziellen nur noch über die Holding zu tun. Deren Geschäftsführer Steeger betonte allerdings, Familie Jahr würde dem Verlagshaus „emotional verbunden bleiben“.

Ganz ohne Veränderungen wird die Komplettübernahme dennoch nicht bleiben. Rabe betonte die Wichtigkeit einer schlanken Führungsstruktur. Im Zusammenspiel mit dem konzernweiten Programm Operational Excellence, das vorsieht, Geschäftsbereiche wie Personal, Finanzen und Buchhaltung, IT oder Einkauf zu zentralisieren, könnte Bertelsmann also weitere Einsparungen abseits des redaktionellen Bereichs durchsetzen. Ein Verkauf des Verlagssitzes am Baumwall scheint ebenfalls denkbar: Bereits seit einigen Monaten kursieren Gerüchte, G+J plane, sich von dem Renommierbau zu trennen. Zunächst hieß es nur, man plane einen Verkauf, um den Komplex danach vom neuen Eigentümer anzumieten. Vor gut einem Monat sagte ein Unternehmenssprecher dem Abendblatt, es sei inzwischen „kein Tabu mehr, über Alternativen nachzudenken“. Und auch Rabe äußerte sich zum Verbleib am Baumwall ausweichend, ließ aber durchblicken, der Standort stehe auf dem Prüfstand.