Die Hamburger Band schlägt auf ihrem neuen Album „Flucht in die Flucht“ ungewohnt verschnörkelt psychedelische Töne an

Hamburg. „Es ist nicht so einfach, einen anderen Sound zu finden“, sagt Frank Spilker. „Als Band ist es spannend, sich etwas Neues vorzunehmen“, ergänzt Thomas Wenzel. Spilker und Wenzel sind zwei Drittel der Band Die Sterne. Dritter im Bunde ist Schlagzeuger Christoph Leich, doch der ist bei diesem Interview im Sterne-eigenen Studio nicht dabei, weil er in Berlin lebt. Der eine Raum in Altona ist vollgestellt mit Verstärkern, Gitarren, Mikros und allerlei Gerät, in dem lichtdurchfluteten zweiten Raum hat die Hamburger Band zum Gespräch gebeten. Teile ihres kommenden Albums „Flucht in die Flucht“ sind hier entstanden.

Das zehnte Studioalbum der 1992 gegründeten Band wird am 29. August auf dem Staatsakt-Label erscheinen. Und es wird anders klingen als alle Sterne-Platten zuvor.

Von allen Bands der Hamburger Schule sind Die Sterne diejenige, die am meisten groovt und deren Songs am tanzbarsten sind. „Was hat dich bloß so ruiniert“, 1996 und 2011 in einer neuen Version erschienen, ist der größte Hit des Trios und zum Klassiker geworden. Soul und Funk sind wichtige musikalische Einflüsse für die Gruppe gewesen, aber auch der New-Wave-Sound von britischen Bands wie Gang Of Four ist in vielen Songs spürbar. Selbst Disco-Einflüsse waren auf dem Vorgänger „24/7“ hörbar.

Mit „Flucht in die Flucht“ verabschieden sich Die Sterne von diesem leichtfüßigen Sound und wenden sich einem verschnörkelten Psychedelia-Klang zu. „Das Schlagzeug ist nicht mehr so dominant wie vorher“, sagt Thomas Wenzel, der Bassist der Combo. Tame Impala, Dirty Projektors und Off Montreal nennt Spilker als aktuelle Referenzen. Aber natürlich auch Psychedelia-Bands der 60er-Jahre wie die Monks und die Electric Prunes. Wenzel fällt beim gemeinsamen Name-Dropping noch Os Mutantes ein, eine brasilianische Band aus den 60er-Jahren.

Wenn Die Sterne früher ein Album vorbereiteten, haben sie sich in ihrem Studio zu monatelangen Sessions getroffen, bei denen durch das gemeinsame Spiel Songs entwickelt wurden. „Diesmal hatten wir nicht so viel Zeit und sind zum herkömmlichen Songschreiben zurückgekehrt. Ich habe fertige Songs angeschleppt und die haben wir dann an Wochenenden zu dritt bearbeitet“, erzählt Spilker und nippt an seinem Kaffee. „Wir haben sogar Demos produziert, damit wir etwas in der Hand haben, worüber wir reden können“, erläutert Wenzel. Zum ersten Mal hat der Bassist auch einen Song beigesteuert, den er auch singt. „Der Bär“ ist ein verschnörkelter Popsong, der sich gut in den Zirkel der anderen Lieder einfügt.

Obwohl das eigene Studio für eine Band Luxus bedeutet, in dem viele Ideen entwickelt werden können, sind weitere Teile im Studio Nord in Bremen und gemeinsam mit dem Produzenten Olaf O.P.A.L. entstanden. „Ein tolles Studio mit alten Mikrofonen, fünf Schlagzeugen und einer besonderen Aura“, sagt Spilker.

Die Sterne sind in ihrer langen Geschichte auch immer eine Band gewesen, die sich gesellschaftspolitisch geäußert hat. Auch wenn eine ihrer Nummern plakativ „Fickt das System“ heißt, kommen Spilkers Texte doch ohne Klischees aus, sondern sind sehr genaue Beobachtungen und beinhalten wohlüberlegte Sprachbilder. Manchmal allerdings haut er auch mit dem nötigen Furor drauf. In „Flucht in die Flucht“ nimmt er die Position eines Stadtneurotikers ein. „Die Provinz bekommt allerdings auch was ab. Da konnte ich gut aus meiner Erinnerung schöpfen und zwei bis drei Hasssätze über das Landleben aufschreiben.“ Geboren wurde der über 1,90 Meter große Musiker in Herford in Westfalen. Erst 1990, mit 24 Jahren, zog er nach Hamburg.

„Innenstadt Illusion“ heißt der Schlüsselsong auf dem aktuellen Album der Sterne. Er beginnt wie eine Zeitungsannonce mit „Bezahlbare Wohnung in den gängigen Vierteln gesucht“, es folgen weitere einschlägige Sätze, doch je länger das fast sechs Minuten lange Stück dauert, desto rauer und assoziativer wird der Ton. „Die Geschichte, die erzählt wird und am Ende auseinanderfällt, ist der Weg des bewussten Kritisierens und Erlebens hin zu einem psychotischen Innenleben. Interessant ist es, den Weg zu beschreiben, den fließenden Übergang von der leichten Unsicherheit zur kompletten Neurose. ,Innenstadt Illusionen’ ist ein bisschen neurotisch, schafft es aber, Form und Inhalt des neuen Albums zusammenzubringen“, erläutert Frank Spilker. Eine Alternative zum urbanen Leben sehen die Musiker jedoch nicht. „Ich habe Glück, weil ich in Ottensen in einer Genossenschaftswohnung lebe“, sagt Thomas Wenzel. „Ottensen ist wie ein Dorf in der Stadt. Man kann alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen.“

Eine Woche vor der Veröffentlichung werden Die Sterne einige der neuen Songs an diesem Freitag auf Kampnagel spielen. Das ausverkaufte Konzert wird kein normaler Sterne-Auftritt werden, sondern eine Art Revue, in der drei Musiker einige jüngere Bands und Sänger mit auf die Bühne holen werden, die an „Flucht in die Flucht“ mitgewirkt haben wie zum Beispiel Schnipo Schranke und Zucker, Der Bürgermeister der Nacht. Auf „Ihr wollt mich töten“, das mit seinen lang gezogenen Gitarrentönen und den Chören an einen Western-Song erinnert, singt Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten. „Wir sind seit vielen Jahren mit Alex befreundet, deshalb ist er bei dem Song dabei“, erklärt Spilker.

Einige der neuen Songs haben Die Sterne vor ein paar Wochen schon live bei einer China-Tournee ausprobiert. Eine große Tournee steht im Oktober an. Und dann natürlich mit einem Konzert in Hamburg als Abschluss. Am 31. Oktober werden Die Sterne im Uebel & Gefährlich auf der Bühne stehen. Mit vielen neuen Songs und einem veränderten Sound. Den Blick auf die Hitparaden haben sich die drei Musiker schon lange abgeschminkt. „Vielleicht haben wir es nie an die Spitze geschafft, weil es bei uns keine Kontinuität gibt“, sagt Thomas Wenzel schmunzelnd. Die Zeit der Experimente geht mit „Flucht in die Flucht“ weiter.

Doch nicht zuletzt wegen Frank Spilkers unverwechselbarer Stimme klingen Die Sterne immer noch wie Die Sterne.

Konzert am 31.10. im Uebel & Gefährlich

Die Sterne: Flucht in die Flucht (Staatsakt, erscheint am 29.8.)