Christiansen ist Hamburgs Buchhandlung des Jahres. Der erstmals verliehene Preis ist mit 10.000 Euro dotiert

Hamburg. Auf dem Spritzenplatz ist gerade Markt, ein Höker preist stimmgewaltig seine Blaubeeren an. Gegenüber liegt Christiansen. Dort werden Bücher verkauft, seit 1878 schon. Das steht auch groß über dem Schaufenster, denn man ist stolz auf die Tradition hier. Ganz leise ist derweil die Literatur, sie bietet sich dem Flaneur unaufdringlich im Schaufenster dar.

Dabei ist sie die Hauptsache hier, und sie befindet sich jetzt auch an einem prominenten Ort: Christiansen ist Hamburgs Buchhandlung des Jahres. Das hat eine Jury entschieden, zu der unter anderem Literaturhaus-Chef Rainer Moritz, Hamburgs Literaturreferent Wolfgang Schömel und Michael Menard, Chef der Nordsektion des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, gehören. Und weil dieser von der Stadt Hamburg erstmals verliehene Preis eine Erfindung Barbara Kisselers ist, ließ es sich die Kultursenatorin nicht nehmen, Dienstag früh ein Glückwunschschreiben per Kurier nach Ottensen zu schicken. Der traf dann jedoch weder Sönke noch Nicole Christiansen an, die das Geschäft in der vierten Generation führen – Christiansens urlauben derzeit in Rom, hieß es von den Mitarbeitern.

Stimmt, und zwar bis heute, dann kehrt das Ehepaar mit dem 16-jährigen Sohn zurück. Morgen beginnt wieder die Schule. Dank moderner Kommunikationsmittel wurde die erfreuliche Kunde schnell übermittelt – es war eine, das kann man so sagen, emotionale Angelegenheit. Frau Lemke war es, die am frühen Morgen Briefumschlag nebst Blumenstrauß entgegennahm, Absender: die Kulturbehörde. Wenn man vorher wusste, dass man bei der Wahl zur engagiertesten, zur besten Buchhandlung Hamburgs im Finale der zehn meistgewählten stand (das Abendblatt hatte zur Stimmabgabe aufgerufen, mehr als 2500 Leser beteiligten sich), dann ahnte man jetzt vielleicht, dass das Schreiben nicht unwichtig sein könnte. Die Stimme von Frau Lemke zitterte, als sie ihre Chefin anrief.

Er wurde gemeinsam geöffnet.

Der Brief, der Sönke und Nicole Christiansen und ihr ganzes Team zu den „glücklichsten Buchhändlern der Welt“ macht. So sagt das Nicole Christiansen, 50, und man gesteht ihr jedes Pathos zu. Nicht unbedingt, weil sie gerade auf einer Piazza in der Ewigen Stadt Rom steht, die in ihrer Pracht erhaben wirkt – sondern weil in Ottensen seit fast anderthalb Jahrhunderten alle Wege zu Christiansen führen, wenn es um Bücher geht. Völlig überwältigt seien sie und ihr Mann, berichtet Nicole Christiansen. Wie soll es anders sein? Denn rechnen konnte das Ehepaar, das seit 1994 die Geschicke der Buchhandlung Christiansen bestimmt, natürlich nicht mit der Auszeichnung. Neun weitere Buchläden durften auf diese hoffen: Felix Jud und Stories in der Innenstadt, Seitenweise in Hamm, das Büchereck in Niendorf, die Sachsentorbuchhandlung in Bergedorf, der Buchladen in Harburg, Cohen + Dobernigg auf St. Pauli, Sautter + Lackmann in der Neustadt, Klauder in Duvenstedt. Ausgelobt wurde der mit 10.000 Euro dotierte Preis von der Behörde mit der Ansage, dass ein modernes Profil genauso wichtig sei wie Aspekte der Literaturvermittlung und -förderung – und dass die Buchhandlung inhabergeführt sein müsse.

Voraussetzungen, die Christiansen geradezu idealtypisch erfüllt. Das Geschäft, in der neben den beiden Inhabern drei festangestellte Buchhändler arbeiten, verfügt über einen sehr guten Internetauftritt mit Onlineshop, veranstaltet regelmäßig Lesungen und unterhält Literaturkreise auch für Jugendliche. Im Stadtteil kommt das sehr gut an, der Kundenstamm ist groß und wächst weiter: Es sind die jungen, bewusst einkaufenden Konsumenten, die bei Christiansens ihre Bücher besorgen. Nicht selten erklären sie dann, für den Erhalt kleiner, inhabergeführter Geschäfte in Ottensen zu sein.

So erzählt es Nicole Christiansen, die seit etwa sieben Jahren hauptverantwortlich für die Geschäfte ist und weiß, was die Zeitläufe mit sich gebracht haben: eine starke Position des Onlinehandels. Was nicht heißt, dass ein verglichen auch mit den Buchhandelsketten wie Thalia gar nicht mal so großer Laden wie Christiansen ein gallisches Dorf wäre. Es ist immer noch ein verhältnismäßig dicht gespanntes Netz aus 70 Kultur-Häusern, das Hamburg mit Literatur versorgt.

Kultursenatorin Kisseler gratulierte am Dienstag nicht nur der Buchhandlung Christiansen, sie bezog sich auch auf die vielen Hundert bei der Abstimmung eingereichten „liebevoll formulierten und dankbaren Empfehlungen von Lieblingsbuchhandlungen“, die zeigten, „wie bedeutend die Rolle der Buchhandlungen für die literarische Kultur, für die Lebenskultur einer Stadt und ihrer Stadtteile insgesamt ist“. Man müsse der kulturellen Funktion des ambitionierten Buchhandels noch mehr Aufmerksamkeit widmen.

Die Liebesbezeugungen, mit denen sich viele Menschen beim Voting für ihr Christiansen einsetzten, schickten viele der Kunden gleich auch noch an die Buchhandlung selbst. Und sie zu lesen sei rührend gewesen, sagt Nicole Christiansen, die jedem der Konkurrenten den Sieg gegönnt hätte. Verbunden ist das eigene Geschäft ja überall mit viel Arbeit. „Wir haben 58 Stunden die Woche geöffnet, mit Abendveranstaltungen sind wir schnell mal bei 70 Stunden. Das wird jetzt mit dem Preis gewürdigt“, sagt Christiansen.

Sönke Christiansen ist übrigens Hobby-Förster. In der Buchhandlung verkaufen sie auch Kaminholz. Das nennt man ein Alleinstellungsmerkmal.