Bestseller-Autorin Jojo Moyes („Ein ganzes halbes Jahr“) über Momente der Rührung beim Schreiben und die eigene Willensstärke

Hamburg. Jojo Moyes, 44, ist ein Star des Literaturbetriebs. Mehr als 1,2 Millionen Exemplare ihres Romans „Ein ganzes halbes Jahr“ wurden allein in Deutschland verkauft. Die Filmrechte für die anrührende Pflegerin-verliebt-sich-in-Schwerstbehinderten-Story sichert sich das Hollywood-Studio MGM. Jetzt kam die sympathische Britin, die mit ihrem Mann und drei Kindern auf einer Farm in Saffron Walden (Essex) lebt, nach Hamburg. In den Kammerspielen las sie auf Einladung der Buchhandlung Heymann aus „Weit weg und ganz nah“, ebenfalls eine Liebesgeschichte, die sich weltweit in den Bestsellerlisten festgesetzt hat.

Hamburger Abendblatt:

Frau Moyes, wachen Sie morgens manchmal auf und denken: „Ich bin reich, ich bin berühmt“?

Jojo Moyes:

Im Gegenteil: Ich wache auf und frage mich, ob das alles nur ein Traum ist. Ich bin vor allem sehr, sehr dankbar für das, was jetzt passiert, denn es gab eine lange Zeit, da verkauften sich meine Bücher schlecht und ich wusste gar nicht, wie es weitergehen sollte. Mein Mann und ich hatten uns sogar schon darauf eingerichtet, ein Zimmer unterzuvermieten, um eine weitere Einnahmequelle zu haben. Wissen Sie, ich kaufe immer noch das billigste Zugticket und gewöhne mich nur sehr langsam an den internationalen Erfolg.

Was haben Sie sich gegönnt, als das Geld plötzlich hereinzuströmen begann?

Moyes:

Ich shoppe nicht so gern und Designer-Handtaschen interessieren mich nicht, aber durch das viele Sitzen habe ich Rückenprobleme bekommen und mir einen Massagesessel geleistet. Nicht irgendeinen, meiner hat so viel gekostet wie ein Kleinwagen und steht jetzt bei uns in der Scheune. Jeden Abend lege ich mich da für 20 Minuten rein. Herrlich!

Wie sieht bei Ihnen ein typischer Arbeitstag aus?

Moyes:

Im Idealfall so: Mein Mann bringt mir morgens um sechs einen Kaffee ans Bett, ich werde wach und beginne zu schreiben, bis die Kinder zur Schule müssen. Dann arbeite ich häufig bis zum Abend weiter. Für mich ist das keine lästige Pflicht, sondern der Himmel auf Erden.

Sie haben begonnen, Bücher zu schreiben, als Sie noch bei der Zeitung „The Independent“ beschäftigt waren, außerdem hatten Sie bereits Ihr erstes Kind. Wie haben Sie all das unter einen Hut bekommen?

Moyes:

Ich habe keine Ahnung. Ich glaube, ich bin einfach sehr fokussiert und willensstark. Als ich 14 war, habe ich drei Putzjobs gleichzeitig gemacht, um mir ein Pferd kaufen zu können. Gegen den Willen meiner Eltern. Später wollte ich um alles in der Welt meinen Namen auf einem Buchdeckel sehen. Meine Eltern haben mir beigebracht: Du kannst alles erreichen, wenn du es wirklich willst. Ich bin gewiss nicht die talentierteste Autorin auf der Welt, aber ich habe einen starken Willen.

Im Journalismus ist vieles Handwerk und Routine, die sich über die Jahre entwickelt. Ist das bei der Literatur auch so? Werden Sie immer routinierter?

Moyes:

Auf jeden Fall. Außerdem habe ich als Journalistin gelernt, dass an Texten gearbeitet werden muss. Dass man sie wenn nötig immer wieder umschreibt und ganze Passagen weglässt. Manche Schriftsteller haben damit ein Problem, ich nicht.

Wissen Sie, wo die Geschichte hinführt, wenn Sie mit dem Schreiben beginnen?

Moyes:

Nein, nicht genau, aber ich kenne das Thema und habe vier oder fünf Charaktere entwickelt. Es klingt vielleicht komisch, aber für jeden von ihnen überlege ich dann, wie er reagieren würde, wenn auf der Straße jemand einen Hund tritt. Eine wunderbare Methode, um Charaktereigenschaften zu entwickeln. In meinem Kopf sind immer viele Buchideen gleichzeitig und ich arbeite eine nach der anderen ab.

Kennen Sie Schreibblockaden?

Moyes:

Nein. Ich habe bis vor Kurzem nicht einmal geglaubt, dass es so etwas wirklich gibt. Bis eine Freundin betroffen war, der schon schlecht wurde, wenn sie eine leere Seite sah. Wenn es bei mir mal nicht so läuft, wechsele ich zu einer anderen Passage im Buch. Oder ich gehe ins Kino, das regt die Fantasie an.

Gibt es jemanden, dem Sie das Geschriebene immer zuerst zeigen und auf dessen Urteil Sie vertrauen?

Moyes:

Mein Mann. Aber ich weiß nicht, ob er das wirklich so gerne tut. Er sagt nämlich, was er denkt, und ich kann damit nicht immer so gut umgehen. Manchmal rede ich dann zwei Tage lang nicht mit ihm – bis ich einsehe, dass er mal wieder Recht hatte.

Stimmt es, dass Sie gelegentlich beim Schreiben vor Rührung anfangen zu weinen?

Moyes:

Ja, und ich schäme mich meiner Tränen nicht. Wenn ich über die Szenen, die ich beschreibe, nicht weinen oder lachen kann, wenn sie mich nicht fesseln, dann ist die Geschichte nicht lebendig. Meine Tochter kommt schon mal rein, wenn sie mich hört, und fragt, ob alles okay ist.

Ihr Metier sind Liebesgeschichten. Ist es das, was die Menschen vor allem und am liebsten lesen wollen?

Moyes:

Ich denke schon, vor allem wenn sie nicht voller Klischees sind, sondern im Rahmen der Liebesgeschichte ein anderes großes Thema behandelt wird. Bisher hatte ich vor allem weibliche Leser, aber das ändert sich jetzt. Und zwar durch die E-Reader. Da sieht man kein Buchcover und niemand bekommt mit, was man gerade liest. Seit immer mehr Menschen die benutzen, bekomme ich auch Leserpost von Soldaten oder Geschäftsmännern.

Ihr E-Mail-Postfach läuft also täglich voll?

Moyes:

Oh ja, und manche schreiben mir sehr bewegend und persönlich, was ihnen im Leben widerfahren ist. Für Geschäftspost habe ich inzwischen eine Assistentin, aber diese persönlichen E-Mails beantworte ich alle selbst. Wenn jemand mein Buch gekauft hat und es ihm so viel bedeutet, dass er Kontakt zu mir aufnimmt, finde ich, dass ich ihm oder ihr das schuldig bin.

Haben Sie den Druck gespürt, nach dem riesigen Erfolg von „Ein ganzes halbes Jahr“ einen weiteren Bestseller abliefern zu müssen?

Moyes:

Nein, mir geht es nicht um das Geld. Ich liebe es einfach, zu schreiben. Das täte ich auch, wenn niemand die Bücher kaufen würde und ich sie kostenlos ins Internet stellen müsste.