Im Thalia-Zelt in der HafenCity bieten die elf Darsteller in „Die drei Musketiere“ mitreißendes Volkstheater-Spektakel voller Witz und Poesie

Hamburg. „Die drei Musketiere“ heißt der Abend, der seit Donnerstag im Thalia-Zelt in der HafenCity ein buntes, komisches und sehr mitreißendes Spektakel bietet. Ach was! Er müsste „Die fünf ...“ oder besser noch „Die zehn oder elf Theatertiere“ heißen, denn die Schauspieler, die knapp drei Stunden lang singen, spielen, tanzen, klettern, kämpfen oder sich in Sekundenschnelle umziehen, sind wirklich unglaublich unterhaltsam. Peter Jordan, ehemals Schauspieler am Thalia Theater hat gemeinsam mit Leonhard Koppelmann Alexandre Dumas’ Abenteuer-Roman über Ehre, Liebe, Intrigen und Rache zu einem Zirkuszauber, einem Comic, einer Komödie und einem wunderbaren Schauspielerfest inszeniert. Volkstheater in seiner schönsten Form. Denn die elf Darsteller mitsamt ihrem Spielmann geben wirklich alles in ihren mehr als 60 Rollen. Sie spielen Kunst und Klamotte, Parodie und Poesie, Witz und Vaudeville. So viel Zirkus war nie. Herausragend Victoria Trauttmansdorff als Kardinal Richelieu – und in vielen anderen Rollen – und Tilo Werner, der hier zeigen kann, was für ein toller Musiker er ist, und der auch als Königin Anna keine schlechte Figur macht.

Überhaupt schien ja die Crux des Abends zu sein, dass Männerrollen von Frauen und Frauenrollen von Männern gespielt werden. Die drei Musketiere sind Frauen (Christina Geiße, Annika Meier, Maria Magdalena Wardzinska), d’Artagnan ebenfalls (Marie Löcker). Mylady de Winter hingegen wird von Sebastian Zimmler gespielt. Aber was als Erstes auffällt: Keiner bedient Geschlechterklischees, jeder wirkt so natürlich in seiner Rolle, dass man die Mann/Frau-Umkehrung fast gar nicht mehr bemerkt. Und doch, wenn der sehr muskulöse Zimmler im roten Abendkleid über das Manegenrund schlendert und sich dabei gaaanz langsam und lasziv zwei Erdbeeren in den Mund schiebt, erkennt man bei ihm die schönsten Männerfantasien über Frauen. Zimmler geht sehr innig und guckt sehr intensiv, so wie wir es von Frauen kennen. Aber erst wenn ein Mann es macht, fällt es einem wieder auf.

Die Musketiere dagegen betonen ihre Kumpelhaftigkeit und messen sich gerne im Kampf. Ganz klar, das sind Männer. Ein Musketier trägt zur Verdeutlichung ein Brusttoupet. Selbst Tilo Werners Bart im Kostüm der Königin irritiert kein bisschen, seit wir Conchita Wurst kennen.

Die Regisseure haben sich für ihre Inszenierung beim Zirkus und beim Kabarett, beim Theater, wie man es zu Shakespeares und Molières Zeiten kannte, bedient. Da gibt es kein „als ob“, kein „Was könnte er/sie damit andeuten?“. Wer hier guckt, der will was. Wer geht, läuft geradewegs drauf zu. Natürlich muss alles, da es im Zelt spielt, ein wenig laut und deftig sein. Pathos hilft. Fein ziselierte Innigkeit passt hier nicht, würde von den Zuschauern weder gesehen noch gehört.

In der Küche tanzt man Schuhplattler, das Kuheuter ist ein Handschuh

Hier tanzt das Küchenpersonal Schuhplattler, ein Pferd ist mal Kopf auf Stock, mal Besenmähne auf Bürste. Die Kuh bekommt ein Gestell, dem ein roter Küchenhandschuh als Euter dient, das Huhn ist lebensgroß wie eine Werbefigur für ein Grillrestaurant. Viele Schauspieler sprechen mit ihrem Heimatakzent. Da wird geschwäbelt, mit Hamburger oder österreichischem Sprachduktus intoniert, oder man erlaubt sich einen Gag aus dem Sprechunterricht: „Ihr lächelt, als hättet ihr heute schon zehn zahme Züge zum Zirkuszelt gezogen“, sagt man zum dauerhaft debil grinsenden Pierrot, der zum Kardinal gehört. Zu Beginn des Abends treten Musiker mit Gitarre und Trommel auf. Die Geschichte wird vom Ende her erzählt, als d’Artagnan angeschossen wird. Aus seinen Wunden bluten rote Stoffbahnen, die er hervorzieht. Danach lernt man im Rückblick, wie er vom Vater das Fechten erlernt und sich mit selbstbewusstem Angeberblick aufmacht nach Paris, um dort Musketier zu werden. Marie Löckers d’Artagnan ist gut gelaunt und voller Leichtigkeit und Lust aufs Leben, ein junger Mensch, der träumt und tatendurstig ist. Nie breitbeinig kerlig, aber immer wild entschlossen.

Das Leben in Paris ist bunt und strotzt vor Intrigen. Der König sieht aus wie Lady Gaga (Sandra Flubacher). Kardinal Richelieu regt sich fürchterlich auf und muss sich selbst beruhigen „gell Pierrot, jetzt lachst‘“ ruft er seinem verblödeten Kompagnon (Swana Rode) zu. Victoria Trauttmansdorff spielt die ganze Skala eines eitlen Kirchenfürsten, der die Königin erledigen will. Mal böse, dann verschlagen, selbstgerecht, giftig, süßlich oder herrisch will er seine Pläne umsetzen. Da könnte man ewig zuschauen. Zu den Fechtszenen zwischen den Musketieren und der königlichen Garde spielt ein Blondmähniger aufjaulende Rockgitarre oben auf dem Sechseck, das in der Bühnenmitte steht.

Königin Anna trägt Bart und singt gerne – ganz Conchita Wurst eben

Die Bühne (Ute Radler), ein Zirkusrund, nutzt das hölzerne Sechseck vielseitig als Heim mit Zugbrücke, als Versteck mit Vorhängen, als Galgen oder als Präsentierteller. Aus dem Keller strömt Rauch, aufs Dach kann man klettern. Dort trifft d’Artagnan auch Constanze, in die er sich verliebt. Oder Königin Anna, die Tilo Werner historisch korrekt, mit spanischem Akzent ausstattet. Sie singt gerne, ganz Conchita Wurst eben, benutzt ihren schwarzen Fächer und hat eine Affäre mit Buckingham. Dessen Perücke ist zerzaust, dem König schwirrt vor seiner Perücke gar ein Schmetterling herum. Michael Sieberock-Serafimowitsch muss viel Spaß gehabt haben, als er die Kostüme entwarf. Ähnliches gilt für Klaus Figge, der für die Kampfchoreografien verantwortlich zeichnet, und Catharina Lühr, die die Tänze choreografierte. Mark Badur, der den Abend auf der Gitarre begleitet, hat die Musik komponiert und dabei viel Abwechslungsreiches erschaffen. Musik, Spiel, Choreografie – alles ist, dem Thema eines Mantel-und-Degen-Stücks angemessen, schmissig.

Dieser Abend, der sichtlich auch den Schauspielern Spaß macht, entlässt die Zuschauer gut gelaunt in die Nacht. Wenn dann noch der Himmel glutrot über dem Hafen und der HafenCity leuchtet, kann man sich eigentlich einen schöneren Sommerspaß kaum vorstellen. Ja, Bier und Bratwurst gibt es dort auch.

Vorstellungen bis 3.7., Karten: 32814444, Thalia-Zelt, Freifläche auf dem Strandkai, HafenCity